Die Predigt im Wortlaut:
„Trauer macht hungrig!“ Mit diesen knappen Worten fasste ein Freund während unserer gemeinsamen Zeit im Priesterseminar die eben verkündete Botschaft zusammen. Weil er über eine gewisse Körperfülle verfügte, brach in der Hauskapelle schallendes Gelächter aus. Abgesehen von der momentanen Situationskomik war der Gedanke gar nicht so verkehrt.
Nach der schrecklichen und für sie enttäuschenden Erfahrung des Karfreitags fiel den Aposteln nichts anderes mehr ein als die Idee des Petrus: „Ich gehe fischen!“ Das war ihr Broterwerb, ihr Lebensunterhalt bevor Jesus sie rief und es schien, als solle es dabei bleiben. Doch sonderlich glücklich wurden sie nicht. „… in dieser Nacht fingen sie nichts!“
Die Nacht – ein wichtiger Hinweis des Evangelisten nicht nur auf die Tageszeit, in der Fischer ansonsten ihre Netze füllen; Nacht – ganz sicher auch ein Hinweis darauf, dass für die Jünger seit der Verurteilung und Kreuzigung Jesu alles aussichtslos und erfolglos schien. Sie hatten zwar die Botschaft der Frauen am Ostermorgen gehört, doch wirklich glauben konnten sie es nicht. Während sie also dabei waren, sich damit abzufinden, also mit Jesus abzuschließen und wieder zurück in ihre alte Welt zu gehen, war Jesus nicht mit ihnen fertig. „Als es Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.“
Der für sie in diesem Augenblick Fremde wollte nichts anderes, als mit ihnen zusammen essen – vielleicht sogar ganz bewusst in dieser Situation. Das Mahl war immer wieder sichtbares Zeichen ihrer Gemeinschaft. Doch sie hatten nichts anzubieten. Da wird Jesus konkret: „Werft die Netze nochmals aus!“ und in einer anderen als der gewohnten Haltung, nicht locker ihren „Job“„mit links“ machen, sondern die Aufgabe beherzt anpacken jetzt auf der rechten Seite – also entgegen aller bisherigen Praxis. Erfahrene Fischer, allen voran Petrus, wissen, wenn ihnen in der Nacht kein Fang gelingt, dann erst recht nicht am hellen Morgen! Doch auf sein Geheiß hin gelingt der unerwartete Erfolg: „Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es.“ Da wird Petrus klar: „Es ist der Herr!“
Wie sehr wäre den Jüngern Jesu unserer Tage zu wünschen, dass sie die Netze auswerfen und zwar entgegen bisherigen Gewohnheiten. Aber sie sind zumeist sehr beschäftigt in vielerlei Gremien, um darin Kirchenpolitik zu machen, neue Gremien zu kreieren, Strukturpläne zu entwickeln, pastorale Räume zu organisieren und und und. An manchen Orten werden sogar die seelsorglichen Dienste genau festgelegt, was, wann getan werden darf und wann nicht. Neben all diesen energie- und zeitraubenden Unternehmungen sind dann noch die Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten.
Mit all dem zuvor genannten leidenschaftlich durchgeführten Tun, das sich in umfangreichen Leitsätzen und Visionspapieren niederschlägt, ist noch keine unsicher schwangere Frau beraten, kein Kind getauft, keine pädagogische Initiative für Kinder ergriffen, keine Glaubensvermittlung erfolgt, kein Kinder zur Kommunion, zur Firmung, zur Beichte geführt, kein Paar getraut, kein Paar in der Krise begleitet, kein Ratloser beraten, keine akute Not gewendet, kein Kranker besucht, keine Pflegebedürftiger betreut, kein Verstorbener beerdigt, kein Trauernder begleitet. Aber die Verwaltung wird immer detailversessener, das Controlling immer differenzierter, die Formblätter vielfältiger und umfangreicher.
Ein solches Tun entspricht für mich der Aussichtslosigkeit der Nacht und den leeren Netzen, entspricht dem „Ich gehe fischen“ und der Aussage „Trauer macht hungrig!“
Umso erhellender ist eine andere Erinnerung: Vor gut zwanzig Jahren war ich zu Besuch in der Abtei Weltenburg. Damals wurde gerade die Klosterkirche renoviert. Abt Thomas lud mich ein, mit auf das Gerüst zu steigen bis hinauf unmittelbar unter das Deckenfresko, das Cosmas Damian Asam 1721 gemalt hatte. Unter den vielen dort abgebildeten biblischen Motiven entdeckte ich auch die Szene, in der sich die Jünger auf Geheiß Jesu als Menschenfischer erwiesen. In einem großen Netz sind Herzen dargestellt, die aufgefangen und zusammengehalten werden.
Der Barockkünstler Asam interpretiert die Szene also ganz im Sinne Jesu: Es kommt darauf an, das Herz der Menschen zu erreichen, zu berühren, mit Jesus und seiner Botschaft in Kontakt zu bringen. Nach der für Petrus, wie uns das heutige Evangelium berichtet, überraschenden und unerwarteten Erfahrung, dass Jesus wirklich lebt, und dass seine Zukunft sicher nicht im routinierten Handwerk liegt, gibt uns der Evangelist noch einen wichtigen Hinweis: 153 Fische seien es gewesen, die die Jünger an Land gezogen haben. Exegeten, also Bibelwissenschaftler, haben herausgefunden, dass zur damaligen Zeit 153 Fischarten bekannt waren. Damit verbindet der Evangelist die Botschaft, dass das Heil und die Sorge Jesu allen Menschen gilt.
Deswegen kommt es gerade heute darauf an, die Beschäftigung mit sich selbst, den eigenen Strukturen, der Organisation von Kontrolle, der Verteilung von Kompetenz und Macht zu reduzieren. Es kommt vielmehr darauf an, Menschen zu gewinnen und zu motivieren zum uneigennützigen Dienst am Nächsten und dabei – wie es unser Bischof betont – Pastoral und Caritas immer enger zu vernetzen. In einer Welt, die immer enger zusammenwächst, in der uns auch ferne Probleme und Nöte immer näher rücken, in der die Menschen unterschiedlicher Kulturen lernen müssen einander mit Respekt zu begegnen, ohne alles gleichzumachen, in dieser Zeit braucht es keine Besserwisser, sondern überzeugte Menschen mit Herz, die andere begeistern für den Weg Jesu zu einem lebenswerten Miteinander.
Dabei kommt es in Zukunft immer mehr auf alle an, die sich Christen nennen, nicht nur auf diejenigen, die beruflich im Dienst der Kirche stehen. Als Christen sind wir nur dann glaubwürdig, wenn wir uns immer wieder auf Jesus, auf sein Wort einlassen, und dann eben nicht uns „mit links“, also eher unwillig, einbringen. Vielmehr müssen wir es uns als Christen, als Eltern, als Familien, als Kirche mit ganzem Herzen und im Vertrauen auf IHN zur Aufgabe machen. In „nervösen Zeiten“, in den Bedrohungen durch soziale Schieflagen und um sich greifendem Unfrieden, inmitten einer von Karriere und Profit, von Konsum und Spaß bestimmten Umgebung, die Menschen – besonders die Jugendlichen – zu erreichen, damit sie nicht im Alltag untergehen.
In wie vielen Diskussionen – ob in politischen Kreisen oder auch in der Caritas oder in pastoralen Gremien – empfahl Barbara, an die wir in diesem Gottesdienst heute hier im Käppele, an einem ihrer Lieblingsorte, ganz besonders denken – „Leut‘ bleibt’s bei de‘ Leut‘!“ Die Menschen brauchen Aufmerksamkeit und Interesse. Dann nehmen die Menschen uns ernst und wir sind für sie glaubwürdig.
Die Unzufriedenheit mit denen, die uns in Kirche wie auch in Politik und Medien führen, wird immer größer. Die Unzufriedenheit mit den aktuellen und gängigen Lebensmustern wird heute in vielfältigem Protest deutlich. Die in unserer Zeit massiven psychischen Belastungen – gerade auch bei jungen Menschen – sind ebenso Auswirkungen der Unzufriedenheit. Mehr Lebensfreude wird aber ganz sicher nicht mit der Freigabe von Cannabis erreicht. Es gilt verantwortungsbewusst die Lebensmustern zu hinterfragen, die in unserem Zusammenleben vorherrschen, und die wir Heranwachsenden vor Augen stellen oder vorleben – ob im unmittelbaren Umfeld von Familie und Freunden oder in den Medien. Gerade weil viele letztlich enttäuscht und frustriert sind, suchen sie nach glaubwürdigen Alternativen, nach einem besseren Weg für ihr Leben. Aber wer bringt es ihnen nahe? Wer ruft sie und ermutigt sie?
„Trauer macht hungrig!“ Wer keine Perspektive hat, keine Zukunft vor sich sieht, der frisst sich durch den Augenblick und konsumiert alles, was gerade aufgetischt wird.
Ich bin mir sicher, die Menschen, ganz besonders Jugendliche, erkennen früher oder später, dass das Leben mit Jesus im Herzen glücklicher und zufriedener macht, dass es Sinn gibt und Zukunft öffnet. Hoffentlich begegnen sie beherzten Christen und erleben Situationen, in denen sie spüren dürfen, da ermutigt mich jemand, die Netze – trotz aller vielleicht vergeblichen Versuche zuvor – nochmals auszuwerfen – halt in eine andere Richtung.
Als sich die Nachricht von Barbaras Sterben wie ein Lauffeuer verbreitete, waren in Fernsehen und Radio viele Stimmen zu hören und in den Zeitungen zu lesen und zwar von Menschen aus allen Generationen und sozialen Schichten, dass Barbara stets Not wahrnahm und bemüht war zu helfen. Sie war unermüdlich für ihre Mitmenschen in Einsatz. Junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Caritas hörte ich miteinander reden: „Frau Stamm war glaubwürdig!“
Barbara hätte oft genug Grund gehabt, die Netze liegen zu lassen und sich zurückzuziehen, aber weil sie in ihrem Innersten erfüllt war von der Überzeugung, dass Gott das Leben will, hat sie immer wieder die Netze ausgeworfen und Menschen aufgefangen und ihnen so helfen können. Auf das glaubwürdige Zeugnis kommt es an, dann werden auch in unseren Tagen Menschen – wie die Jünger – erstaunt feststellen: „Es ist der Herr!“
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Sind wir die Letzten, die glauben,
glauben an das, was war,
sind wir nur übrig geblieben,
übrig von dem, was war?
Andere sehn nur das Heute,
sehen nur das, was ist.
Sind wir die Letzten, die glauben,
glauben an das, was war?
Oder?
Sind wir die Ersten, die glauben,
glauben an das, was wird,
sind wir die Vorhut von morgen,
Vorhut von dem, was wird?
Andere sehn nur das Heute,
sehen nur das, was ist.
Sind wir die Ersten, die glauben,
glauben an das, was wird?
(Lothar Zenetti)