Die Predigt im Wortlaut:
In diesen Wochen wird das ganze Land überkleistert mit Plakaten. Kurze, knappe Slogans sollen uns andeuten, worauf es bei der bevorstehenden Wahl ankommt, wer die besten Ideen und Rezepte hat, um unser Bayernland zu regieren, für wen wir uns also entscheiden sollen.
Doch die Erfahrung zeigt, dass sowohl die Kritik an bestehenden Verhältnissen als auch die Versprechen, vieles anders zu machen, zumeist keinen langen Haltbarkeitswert haben.
Slogans, kurze markige Sprüche, saloppe Darstellungen der Realität oder der Verbesserungen in sozialen, in bildungs-, umweltpolitischen und wirtschaftlichen Fragen, plakative Visionen eines angenehmeren Lebens und Zusammenlebens sind oft nicht einmal das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind. Mit dieser Aussage möchte ich mich aber nicht an der Schlammschlacht – auch der Medien – beteiligen, die immer heftiger werden wird, je näher der Wahltag rückt.
Es kommt nicht auf die öffentlichkeitswirksame Darstellung, sondern auf die grundsätzliche Einstellung und die Sicht von Leben an, von der aus dann konkrete Entscheidungen gefällt werden. Diese Denkweise glaubwürdig deutlich zu machen, reichen die Monate und Wochen vor der Wahl gewiss nicht. Auf die grundsätzliche Haltung kommt es in der Tat immer an.
Dazu ein paar Beispiele:
Ein erstes, der Umgang mit menschlichem Leben: Ob es um die vorgeburtliche Selektion von anscheinend wertem bzw. unwertem Leben geht, die hohe Zahl der Abtreibungen, hinter der sich auch die mangelnde Bereitschaft verbirgt, Kinder – auch gesunde – anzunehmen. Oder es geht um die „Tötung auf Verlangen“, bei der schon junge Menschen z.B. aus Liebeskummer freiwillig aus dem Leben verabschieden können. Oder es geht um alte Menschen, die am Lebensende lieber mit dem Dasein Schluss machen aus Sorge, nur noch Last und Kostenfaktor zu sein. Aber auch der Umgang mit dem eigenen Geschlecht ist fragwürdig. Möchte jemand den Geschlechtseintrag ändern, müssen künftig lediglich eine Erklärung und eine Eigenversicherung beim Standesamt abgegeben werden; das genügt! Wer auf die Risiken eines zu spontanen Entschlusses zur Geschlechtsumwandlung hinweist, setzt sich massiver Kritik aus. Als unverantwortlich halte ich auch die Freigabe von selbst „leichten“ Drogen, wodurch die Gesundheit von Menschen gefährdet wird, selbst bei Verweis auf die Eigenverantwortung.
Ein zweites: Soziale Gerechtigkeit und Solidarität. Nicht nur in wirtschaftlich schwierigen Zeiten flammt immer wieder die Diskussion um Leistungen der Allgemeinheit und der öffentlichen Hand für Behinderte, Schwache, Kranke, Gebrechliche auf. Ebenso ist die Bereitschaft zur Entwicklungshilfe, also zur globalen Solidarität, stets umstritten. Wir erreichen zwar das selbstgesetzte Ziel von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, aber es ist bekannt, dass damit keineswegs das soziale Gefälle abgebaut und die Flucht vor Armut eingedämmt werden kann.
Ein drittes, der Schutz der Natur: Zweifellos ist höchste Dringlichkeit geboten, die natürliche Umwelt nicht noch stärker zu belasten bzw. die Belastungen zu reduzieren. Es gilt also auch in kluge Ideen und Erfindungen zu investieren, um Wirtschaft, Industrie, aber auch die persönliche Lebensführung umweltverträglicher zu gestalten. Auch im Bereich des Tierschutzes braucht es eine höhere Sensibilität, ohne dass der Eindruck erweckt wird, dass Tiere teilweise besser geschützt sind als menschliches Leben – ob geboren oder ungeboren. Und die Aktionen der „Letzten Generation“ sind keineswegs überzeugend, sondern bewirken allenfalls Ärger.
Ein viertes Beispiel möchte ich noch nennen, die zunehmende Aggressivität im Umgang miteinander: Gewiss haben die Medien einen prägenden Einfluss auf das Bewusstsein, das Denken und Verhalten der Menschen: die Dauerberieselung auf vielen Kanälen rund um die Uhr mit unzähligen Gewaltszenen und Tötungen. Solches stumpft die Menschen ab. Die erschreckenden Berichte über Misshandlung von Kindern, Vergewaltigungen, Gewalt schon unter Kinder und Jugendlichen sowie in Familie und Nachbarschaftskreisen, nehmen von Jahr zu Jahr zu. Wo werden noch in der Erziehung, in der Bildung Grundhaltungen vermittelt wie z.B. die von der Goldenen Regel Jesu abgeleitete: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg‘ auch keinem anderen zu!“
Bildung wird vor allem als kognitive Bildung verstanden und weniger als Herzens- und Charakterbildung – trotz des starken Zulaufs zum Ethikunterricht. Von daher stellt sich mir die Frage, ob die Abkehr vom Religionsunterricht wirklich empfehlenswert ist, also mein Leben in der Beziehung zu Gott wahrzunehmen.
Eine Gesellschaft, die jahrzehntelang die „Selbstverwirklichung“ und damit den starken, strahlenden, jugendlichen Menschentyp zum höchsten Ideal erklärt und deshalb „Selbstbestimmung“ und „Autonomie“ über alles gestellt hat, darf sich über die Folgen nicht wundern. Eine Gesellschaft, die das eigene „Ich“ überhöht hat, und dafür Glaube, Religion und christliche Grundhaltungen systematisch lächerlich gemacht, verspottet, als nicht mehr zeitgemäß und altmodisch abgetan hat und damit aus der Gesellschaft verdrängt hat, – eine solche Gesellschaft darf sich nicht wundern, wenn ihre Lehren nun besorgniserregende Früchte tragen.
Wer das nicht will, muss jetzt handeln. Er muss falsch verstandene „Selbstverwirklichung“, die einseitig dem Egoismus huldigt, durch Werte wie „Selbsthingabe“ im Denken und Leben ersetzen. Wer dem Leben dienen will, darf die Erziehung und Prägung von Kindern nicht nur staatlichen Bildungsplänen und Erziehungseinrichtungen überlassen. Er muss auch den Blick wieder weiten über die Grenzen dieses irdischen, vorläufigen Lebens hinaus.
Der eingeschlagene Weg hin zu einer sich entsolidarisierenden Gesellschaft führt dazu, dass der Mensch gegenüber seinem Mitmenschen zum Wolf wird. Wer glaubt, so schlimm werde das am Ende nicht kommen, wer gar meint, er brauche sich weiter nur um sich selbst und sein unmittelbarstes Umfeld zu kümmern, der wird – ob er das will oder nicht – unwillkürlich dazu beitragen, dass auch das letzte Tabu im Blick auf den Wert und den Schutz des Lebens fällt.
Es kommt nicht auf einige markante Slogans und Sprüche an, es kommt auf die Grundeinstellung zum Leben und die sich daraus ergebende Haltung an. Das wird auch im heutigen Evangelium deutlich.
Jesus fragt seine Jünger zunächst, für wen die Leute den Menschensohn halten. Die Antworten entsprechen der gängigen Volksmeinung, den Erwartungen der Menschen an Jesus. Sie nennen vor allem die Propheten, deren Wirken überliefert war und deren Wiederkunft man sich gewünscht hätte, um für Ordnung zu sorgen.
Wenn heute Umfragen zu Jesus gemacht werden, dann erhält man die gängigen Antworten, wie z.B. dass Jesus ein besonderer Mensch war, dass er sich mit den Mächtigen seiner Zeit angelegt hat, dass er Konventionen auf ihren Sinn hin bedacht und, wenn sie ihm unmenschlich und unsinnig vorkamen, durchbrochen hat, dass er ein sozial gesinnter, mutiger Mensch war, dass er sich für die Benachteiligten und Entrechteten eingesetzt hat, dass er Visionen von einem versöhnten und beglückenden Zusammenleben der Menschen hatte. All das und viele andere Andeutungen treffen aber jeweils immer nur einen einzelnen, kleinen Ausschnitt vom Wesen Jesu und entsprechen damit allenfalls den unzulänglichen Volksmeinungen.
Deshalb fragt Jesus die Jünger selbst: „Für wen haltet ihr mich?“
Die Antwort des Petrus ist ein eindeutiges Bekenntnis. Jesus ist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes. Vom lebendigen Gott spricht die Bibel immer wieder sehr bewusst als Kontrast und Gegensatz zu den falschen Göttern, die die Menschen unterjochen. Oder wenn es um die Wirklichkeit Gottes geht, zeigt die Bibel, dass er Leben will und alles daransetzt, dem Leben zum Durchbruch zu verhelfen – bis hin zum letzten Einsatz Jesu, mit dem er den Tod überwunden hat. Petrus bekennt Jesus als Messias, als denjenigen, der das Heil Gottes bringt.
Genau darum muss es auch uns gehen, die wir uns Christen nennen, nämlich: Jesus als denjenigen zu bekennen, der das Leben ist und sich für das Leben einsetzt.
Von Jesus und seiner Botschaft her hat unser Einsatz für das Leben dann eine andere Qualität.
- Dann geht es nicht nur darum, die Natur, die Tiere zu schützen, sondern in ganz besonderer Weise auch die Krone der Schöpfung, den Menschen – und zwar von seinem Anfang bis zu seinem natürlichen Ende.
- Dann geht es nicht nur darum, einfach von besserer Bildung zu sprechen, sondern darum, dass ich die Menschen mit all ihren unterschiedlichen Begabungen wahrnehme und dass ich darum bemüht bin, ihnen in ihrer Einmaligkeit gerecht zu werden, ihnen zu helfen, dass sie die ihnen entsprechende Ausbildung erhalten, und nicht alle gleichzumachen versuche.
- Dann geht es nicht nur darum, Gelder zum Lebensunterhalt zu verteilen, sondern eine Wirtschaftsordnung zu gestalten, in der die Menschen sich durch ihre Arbeit entfalten können und Bestätigung finden.
- Dann geht es nicht nur darum, überall eigene Vorteile zu suchen, sondern zu entdecken, dass ich mich auch dadurch selbst verwirklichen und einen Sinn sehen kann, wenn ich mich für andere einsetze.
- Dann geht es nicht nur darum, die paar Jahrzehnte auf dieser Erde als höchstes Glück und letztes Ziel anzusehen, sondern zu wissen, dass wir mit der Frohen Botschaft Jesu den Weg finden, auf dem Gott uns entgegenkommt und uns zum Glück des ewigen Lebens führt.
Wie damals geht es nicht nur um die gängige Volksmeinung, um irgendwelche vordergründigen Deutungen von Jesus. Es geht vielmehr, auch von uns wie von den Jüngern, um ein klares, eindeutiges Bekenntnis zu Jesus als dem Herrn der Welt. Davon hängen unser Leben und unsere Zukunft ab! Es kommt also auf unsere Entscheidung für Jesus an, welches Gesicht diese Welt bekommt.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Im Evangelium hat Jesus seine Jünger gefragt.
Jetzt sind wir gefragt:
Für wen halten wir Jesus?
– Für wen wir Jesus halten,
DAS wird unser Leben
und unser Handeln zeigen!
(Autor unbekannt)