Die Predigt im Wortlaut:
„… aus Leidenschaft für die Menschen“ – so der Titel der Biografie von Barbara Stamm, die in der vergangenen Woche in München im Maximilianeum von Landtagspräsidentin Ilse Aigner vorgestellt wurde. Bereits am darauffolgenden Tag haben viele Zeitungen in allen Teilen Bayerns auf das Buch hingewiesen und mit sehr wertschätzenden Worten an die „Landesmutter“, die „Präsidentin der Herzen“, „die herausragende Sozialpolitikerin“ erinnert, die unermüdlich für die Menschen engagiert war, insbesondere für Schwache und Hilfsbedürftige. In der Biografie gibt es auch ein Kapitel über ihr Wirken in und mit der Caritas, in der und mit der sie sich jahrzehntelang engagierte.
Gerne erinnere ich an sie auch hier in Miltenberg. Hier hat sie noch wenige Wochen vor ihrem Sterben für eine wichtige Unterstützung bei der Finanzierung des Familienzentrums in Verbindung mit der Kindertagesstätte im Klostergarten gesorgt.
Immer wieder wird – auch innerhalb der Kirche – gefragt, was den Mehrwert von Caritas gegenüber anderen Akteuren auf dem z.T. umkämpften sozialen Markt ausmacht. Rein wirtschaftlich betrachtet, würde die Antwort lauten, dass es uns nicht um Gewinn, Profit und steigende Aktienkurse geht. Klar ist aber auch, dass es uns um eine auskömmliche wirtschaftliche Basis geht. Nur somit können gute Rahmenbedingungen für den sozialen Dienst geschaffen werden und die beruflich Mitarbeitenden faire Vergütungen erhalten. Damit kann das ehrenamtliche Engagement gefördert werden und immer wieder Zeichen der Anerkennung erfahren.
Die Frage nach dem Mehrwert geht auch über die professionelle und qualifizierte Dienstleistung hinaus. Der Mehrwert wird vor allem deutlich im Interesse an den Menschen und der uneigennützigen Hilfsbereitschaft, mit der wir ihrer Not begegnen. Wir machen uns aber auch zum Anwalt und Fürsprecher, der gegenüber dem Staat und der Öffentlichkeit auf besorgniserregende und bedenkliche Entwicklungen hinweist. Zugleich fördern und stärken wir als Caritas damit die Solidarität in der Gesellschaft und das Verantwortungsbewusstsein füreinander.
Die beiden Leitworte der Caritas: „Nah am Nächsten“ und „Not sehen und handeln“ werden von zahlreichen beruflichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beherzt in die Tat umgesetzt. Und Menschen wie z.B. Barbara Stamm tragen den Dienst mit und setzen sich mit Nachdruck ein. Dadurch ermutigen und bestärken sie all diejenigen, die immer wieder auch enttäuschende und entmutigende Erfahrungen in ihrem Dienst machen müssen. Um Gottes und der Menschen Willen dürfen wir – trotz aller Ignoranz, die uns immer wieder begegnet – in unserem Einsatz nicht nachlassen.
Während in der Gesellschaft und in den medial inszenierten Interessenslagen das Augenmerk vor allem auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Rahmenbedingungen für die Erwerbsarbeit gerichtet ist, gerät die soziale Kultur und soziale Infrastruktur oft ins Hintertreffen. Eine Folge davon ist, dass Alte und Junge, Leistungsstarke und eher Geschwächte, Gesunde und Kranke in unserer Gesellschaft eher getrennt werden. Um zu mehr materiellem und finanziellem Erfolg zu kommen, wird nicht selten mehr auf Konkurrenz und Gegeneinander als auf Zusammenarbeit gesetzt. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ziehen eher dynamische, hochqualifizierte, erfolgreiche Einzelkämpfer auf sich. Schwache und Geschwächte und ihre Nöte werden dagegen leicht übersehen und überhört. Im Blick auf die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, und das sind nicht nur finanzielle, gibt es eine soziale Verantwortung. Diese wird allerdings vielfach verdrängt.
Von einem mir bekannten indischen Jesuitenpater, der in Kerala einen Ashrams leitete, stammt folgende Charakterisierung des gängigen Konsumverhaltens: „Sie leihen sich Geld, das ihnen eigentlich nicht gehört, um Dinge zu kaufen, die sie eigentlich gar nicht brauchen, um damit Leuten zu imponieren, die sie eigentlich gar nicht mögen.“
Allmählich begreifen es die Menschen in unserer Gesellschaft wieder, wenn auch nur langsam, dass alle letztlich viel eher weiterkommen, wenn wir nicht nur auf Einzeltalente und – im übertragenen Sinne – auf „Ich-AG’s“ setzen, sondern Team- und Gemeinschaftsgeist fördern und pflegen und uns so miteinander um das Leben annehmen.
Jesus selbst setzt auf Teamgeist. Das heutige Evangelium macht es deutlich. Jesus sendet seine Jünger aus, und zwar nicht allein, sondern zu zweit.
- Sicherlich spiegelt sich darin zum einen die damalige Rechtspraxis wider, wonach nur das übereinstimmende Zeugnis von zwei Menschen als glaubwürdig angesehen wurde.
- Ebenso konnten zwei Menschen sich gegenseitig Stütze und Halt sein, wenn ein Weg beschwerlich wurde.
- Zwei Menschen können aber auch voneinander lernen, profitieren von ihren unterschiedlichen Begabungen und Erfahrungen.
- Schließlich aber können zwei Menschen, die gemeinsam zu Werke gehen, viel mehr bewirken als einer allein.
In dieser Haltung sind Frauen und Männer als Caritas der Kirche unterwegs und erfüllen somit die Sendung Jesu. Ob bei unseren Besuchs- oder Beratungsdiensten, in den vielfältigen sozial-caritativen Engagements: Vieles ist uns möglich, weil wir Gemeinschaft pflegen und fördern und miteinander die Aufgaben und Herausforderungen angehen.
Wichtig scheint mir noch die Beobachtung im heutigen Evangelium, dass Jesus einfache Menschen aus unterschiedlichen Tätigkeiten ruft und aussendet, Menschen, von denen er weiß, dass sie auch Schwächen haben und unzulänglich sind. Dennoch vertraut er ihnen ganz und gar.
- Interessant ist auch, dass er sie aussendet. D.h., er fordert von ihnen Beweglichkeit und Kreativität.
- Und er legt ihnen ans Herz, nichts mitzunehmen, was sie vielleicht belasten, was ihren Weg beschweren und sie unbeweglich machen könnte.
- Das Einzige, was sie brauchen, was sogar entscheidend ist für ihren Auftrag, ist das Vertrauen in Gott, in sein Weggeleit.
- Schließlich fordert er von ihnen Konsequenz, Beharrlichkeit und langen Atem, gewissermaßen auch Frustrationstoleranz. Wenn sie und ihre Botschaft nämlich nicht ankommen, wenn sie abgelehnt werden, dann sollen sie nicht aufgeben, sondern weiterziehen.
Von denen, die sich von ihm miteinander senden ließen, die als Team in seinem Geist zu Werke gingen, wird berichtet, dass sie unvorstellbar viel bewirkten. Sie konnten manchen Ungeist im Leben der Menschen austreiben, Menschen ermutigen und aufrichten und dem Leben gut tun.
Wo sie waren, war „Heil-Land“. Es wurde deutlich, dass sie nicht aus eigener Kraft wirkten, sondern in SEINER Kraft handelten. Dadurch wächst der immer wieder angefragte „Mehrwert“ von Caritas.
Wir alle sind von Jesus gerufen. Vielleicht fühlen wir uns überfordert oder meinen, dem Auftrag nicht gerecht werden zu können und wir möchten ähnlich antworten wie Amos, von dem wir in der Lesung gehört haben: „… ichbin (nur) Viehzüchter …“. Aber auf diesen Einwand hin hat der Herr geantwortet: „Geh und rede als Prophet …“
Keiner von uns steht allein. Jeder von uns kann mit seinen Begabungen und Möglichkeiten viel bewirken,
- wenn er sich von Jesus senden lässt,
- wenn er – im Auftrag Jesu – zusammen mit anderen zu Werke geht
- und wenn er in allem und bei allem grenzenloses Vertrauen in Gott hat.
Wer von uns hat nicht schon die überraschende Erfahrung machen können, dass er plötzlich unerwartet viel erreicht hat, weil er nicht allein war, weil er mit Anderen eine Aufgabe, einen Auftrag angegangen ist, und weil er – eigentlich unbeschreiblich – das großes Vertrauen hatte, dass Gott ihm hilft.
Barbara Stamm ist ein sehr prominentes Beispiel. Sie ließ sich nicht abbringen und sie wurde nicht müde, nach Wegen zu suchen, um Menschen zu helfen und Solidarität einzufordern – „… aus Leidenschaft für die Menschen“, wie der Titel der Biografie über ihr Leben und Wirken lautet. Und dabei hat sie immer den Teamgeist gefördert.
Wenn wir uns in der Kirche umschauen, dann entdecken wir unzählige Menschen, die dem Leben zu neuer Qualität verhelfen, weil sie das ganze Jahr über mit anderen unterwegs sind im Geiste Jesu, um andere aufzurichten und das Miteinander und Gemeinschaft zu fördern.
Der Caritasverband im Landkreis Miltenberg mit seinen vielen Diensten und Angeboten und besonders mit seinen engagierten beruflichen wie auch ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist ein gutes Beispiel. Dadurch wird konkret, was der Titel des Büchleins sagt, das wir Papst Franziskus vor einigen Wochen überreicht haben: „Herzlichkeit in einer herzlosen Welt“. Die Reaktion des Papstes war: „Darauf kommt es an!“ Heute sind wir hier zusammengekommen, um Danke zu sagen, dass die Caritas hier in der Region dafür sorgt – „… aus Leidenschaft für die Menschen“!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Ein Mensch wie Brot
Er lehrte uns die Bedeutung und Würde
des einfachen unansehnlichen Lebens;
unten am Boden,
unter den armen Leuten
säte er ein seine unbezwingbare Hoffnung.
Er kam nicht zu richten, sondern aufzurichten,
woran ein Mensch nur immer leiden mag.
er kam ihn zu heilen.
Wo er war, begannen Menschen freier zu atmen,
Blinden gingen die Augen auf,
Gedemütigte wagten, es zum Himmel aufzuschauen
und Gott ihren Vater zu nennen.
sie wurden wieder Kinder – neugeboren.
Er rief sie alle ins Leben.
Er stand dafür ein,
dass keiner umsonst gelebt,
keiner vergebens gerufen hat,
dass keiner verschwindet namenlos
im Nirgends und Nie,
dass der Letzte noch
heimkehren kann als Sohn.
Er wurde eine gute Nachricht:
im ganzen Land ein Gebet,
ein Weg, den man gehen
und ein Licht, das man in Händen halten kann
gegen das Dunkel.
Ein Mensch wie Brot,
das wie Hoffnung schmeckt:
bitter und süß.
Ein Wort, das sich verschenkt,
das sich dahingibt, wehrlos,
in den tausendstimmigen Tod,
an dem wir alle sterben.
Ein Wort, dem kein Tod gewachsen ist -
das aufersteht und ins Leben ruft;
unwiderstehlich:
„wahrhaftig dieser war Gottes Sohn“
(Lothar Zenetti)