So wie London bräuchte Würzburg einen Hyde-Park, in dem man sagen kann, was man will. Besser noch eine Klagemauer wie in Jerusalem. Das zumindest regte eine Besucherin der Bahnhofsmission im Gespräch mit Würzburgs Oberbürgermeisterin Dr. Pia Beckmann an. Beckmann war auf Einladung der Bahnhofsmission gekommen, um für eine Stunde die Rolle zu tauschen, hinter der Theke warme Getränke auszuschenken und mit den Klienten und Besuchern ins Gespräch zu kommen.
Sie kam etwas zu spät - was man einer Oberbürgermeisterin verzeihen mag - doch ihre "Gäste" hatten ihre Fragen nicht vergessen. Warum Würzburg entgegen geltender Rechtssprechung das Betteln in der Innenstadt verbiete, wollte einer der Besucher, der selber schon viele Jahre auf der Straße lebt, wissen. Die Frage erwischte Pia Beckmann, noch bevor sie die erste Tasse Tee ausschenken konnte. Die genaue Antwort musste sie schuldig bleiben, notierte sich jedoch den Namen und versprach, sie bald nachzuliefern. Allein, dass sie die Frage ernst nahm, verschaffte ihr einen großen Bonus bei den Zuhörern.
Dichtes Gedrängel an der Ausgabe, alle wollten der Oberbürgermeisterin etwas zeigen, fragen oder zumindest einen Kaffee oder Tee von ihr bekommen. Eine Reisende aus Norddeutschland, die nur um ein Glas Wasser bat, reagierte verwundert und mit Respekt über die prominente Besucherin. Pia Beckmann war dieser kurze Einblick in die Arbeit der Bahnhofsmission wichtig. Denn sie will selber erleben, wie es den Menschen in ihrer Stadt geht. So wie sie nahmen in den letzten Tagen viele hunderte Politiker im Rahmen der Aktion Rollentausch die Gelegenheit wahr, die Seite zu wechseln und sich ein authentisches Bild über soziale Arbeit zu machen.
Ach ja, und die Klagemauer. Ob sie jemals gebaut wird, ist noch nicht sicher. Aber Spaß hat die Vorstellung allen gemacht.
Die Würzburger Bahnhofsmission verzeichnet jährlich ca. 36.000 Kontakte von rat- und hilfesuchenden Menschen. Neben der Münchner ist sie bayernweit die einzige Bahnhofsmission, die 24 Stunden am Tag geöffnet hat. Die Bahnhofsmission gehört zur Christophorus gGmbH, einer Gesellschaft von Caritas und Diakonie.