Seit Donnerstag (25.02.2021) erleben wir eine Art Kulturkampf seitens der Gewerkschaft ver.di in Richtung Caritas. Nachdem die Caritas einem Flächentarifvertrag für den Bereich Pflege mehrheitlich nicht zugestimmt hat, wird sie öffentlich massiv angefeindet. Mit Kritik war zu rechnen, dass diese nun so vehement ausfällt, überrascht und stimmt nachdenklich. Ganz offensichtlich geht es um mehr als den neuen Tarifvertrag. Viele Zeitungen scheinen nur noch voneinander abzuschreiben, ohne selbst zu recherchieren oder das fachliche Gespräch zu suchen. Die Schlagzeile „Ideologie schlägt Humanität“ (Sylvia Bühler, ver.di-Vorstand), scheint einfach zu verlockend zu sein. Es ist im Augenblick sehr leicht, medial undifferenziert auf „die Kirche“ und „die Caritas“ einzuschlagen.
Um gleich mit einem Missverständnis aufzuräumen: Die Caritas ist nicht gegen Lohnerhöhungen für Pflegerinnen und Pfleger und verhindert diese auch nicht. Die Caritas zahlt in ihren Einrichtungen seit vielen Jahren nach „Tarif“ (AVR-Caritas), bietet damit eine überdurchschnittliche Entlohnung, zusätzliche Sozialleistungen und regelmäßige Lohnerhöhungen. An diesem Prinzip wird sich nichts ändern. (Bis 2023 sind Lohnsteigerungen von ca. 9% in der Pflege vorgesehen.) Zu behaupten, die Caritas würde nun ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schlechterstellen wollen, stimmt nicht. Das war und ist nicht Gegenstand der Verhandlungen gewesen.
Was wird der Caritas vorgeworfen? Woher rührt der Groll gegen die Caritas? Der neue einheitliche Tarifvertrag, der, so will es das Gesetz, nur mit Zustimmung von Caritas und Diakonie auf den Weg hätte gebracht werden können, wäre für jene Pflegerinnen und Pfleger ein Fortschritt gewesen, die bislang zu Dumpinglöhnen bei privaten Anbietern arbeiten müssen. Sie hätten ab Sommer 2023 mit höheren Löhnen rechnen können.
Warum hat dann die Dienstgeberseite der Arbeitsrechtlichen Kommission nicht zugestimmt? Dort hat man sich die Entscheidung nicht leichtgemacht. Caritas will Solidarität stiften und setzt sich seit Jahren für bessere Rahmenbedingungen in der Pflege ein. Sie hat dabei nicht nur die eigenen Dienste und Einrichtungen im Blick, sondern das ganze System. Aber mit dem neuen Tarif, so die Befürchtung, hätte die Caritas ihr Lohnniveau mittelfristig absenken müssen. Das Geld kommt von den Kostenträgern, den Kassen und Versicherungen, die auf Dauer nicht mehr bereit sein könnten, den „Luxustarif“ der Caritas zu bedienen, wenn es einen für sie wesentlich günstigeren Einheitstarif gibt. Der neue Tarifvertrag sieht u. a. keine Zahlung von Überstundenzuschläge, keine betriebliche Altersvorsorge und schlechtere Urlaubsregelungen vor. Auch das Lohnniveau ist weit unter dem, was die aktuellen Verträge von Caritas und Diakonie bieten.
Als Caritas sind wir Akteure auf dem sog. sozialen Markt. Die Idee stammt nicht von der Caritas, sondern aus der Politik. Markt heißt aber auch Konkurrenz, Konkurrenz um Fach- und Arbeitskräfte. Zusammen mit anderen geschätzten Arbeitsbedingungen macht auch der gute Tarif die Häuser der Caritas attraktiv. Deshalb gilt es, diesen auf Zukunft hin nicht zu gefährden.
Und auch darum geht es: Die Gewerkschaft ver.di spielt im Bereich der Pflege keine große Rolle. Sie vertritt kaum Einrichtungen, und nur wenige Kolleginnen und Kollegen. Eine Gewerkschaft lebt von ihren Mitgliedern und vom Einfluss in einer Branche. Außerdem ist den Gewerkschaften der Dritte Weg, also das Arbeitsrecht der Kirchen, schon lange ein Dorn im Auge. Während bei der Caritas in paritätisch besetzten Kommissionen um gute Lösungen gerungen wird und eine gemeinsam, zufriedenstellende Lösung für beide Seiten (Dienstgeber und Dienstnehmer) Verpflichtung ist, wünscht sich die Gewerkschaft den Streik als Kampfmittel, um nur ein Beispiel zu nennen. Es geht also um mehr als einen Tarifvertrag.
Wie geht es weiter? Wo nur der gesetzliche Mindestlohn in der Pflege gezahlt wird, soll dieser zeitnah angehoben werden. Dieses Signal sendet die Politik. Deutlich wird: Es braucht in einer alternden Gesellschaft mehr Personal und mehr Geld im Pflegesystem. Und aus der Gesellschaft braucht es mehr als ein enthusiastisches Klatschen in der Pandemie.
Dass die Gewerkschaft nun versucht, mit Protestaktionen Kapital für sich aus den gescheiter-ten Verhandlungen zu schlagen, ist ihre Chance, aber mit Anklagen gegen die Caritas prügeln sie auf die Falschen ein. Der Protest gehört dorthin, wo seit Jahren Dumpinglöhne gezahlt werden und er gehört dorthin, wo die Entscheidungen fallen, wer sich auf dem sozialen Markt zu welchen Bedingungen einbringen darf.
Für Montag, 8. März 2021, sind friedliche Proteste von ver.di vor Gebäuden der Caritas und der Diakonie auch in Würzburg und anderenorts geplant. Wir sollten, wo es sich anbietet, klarstellen, dass es der Caritas und der Gewerkschaft im Grunde um dasselbe geht: Die Verbesserung von Rahmenbedingungen in der Altenhilfe. Dafür steht Caritas seit Jahrzehnten ein! Deshalb hat sich die Caritas die Entscheidung gegen den neuen Flächentarifvertrag nicht leicht gemacht. Sie hat aber gute Gründe und diese auch benannt. Leider werden diese in der öffentlichen Diskussion oftmals nicht sachgerecht wiedergegeben. Der umstrittene Flächentarifvertrag wäre ein möglicher Weg gewesen; doch es gibt bessere. Das Engagement für die Kolleginnen und Kollegen in der Pflege geht dennoch innerhalb und außerhalb der Caritas weiter.
Weitere Informationen:
katholisch.de
https://www.katholisch.de/artikel/28897-manche-kritiker-der-caritas-machen-es-sich-zu-einfach
Neues Deutschland
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1148839.pflegenotstand-caritas-erledigt-drecksar-beit.html
Ja, Pflegekräfte sind der Caritas wichtig
Die Entscheidung der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas, den Antrag auf einen allgemein-verbindlichen Tarif Altenpflege abzulehnen, sorgt für Irritationen. Caritas-Präsident Peter Neher nimmt dazu Stellung.
https://www.caritas.de/fuerprofis/fachthemen/caritas/ja-pflegekraefte-sind-der-caritas-wichti
Der Tarifvertrag in der Altenpflege kommt nicht. Was nun?
Die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas hat am 25. Februar den Antrag des Pflegearbeitge-berverbands BVAP und der Gewerkschaft ver.di auf eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung des von ihnen abgeschlossenen Tarifvertrags in der Pflege durch das Bundesarbeitsministerium abge-lehnt. Lesen Sie hier mehr.
https://www.caritas.de/fuerprofis/fachthemen/gesundheit/der-tarifvertrag-in-der-altenpflege-komm
Warum die Dienstgeber einen Einheitstarif ablehnen
„Bessere Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten in der Altenpflege schafft nur die Politik ge-meinsam, nicht die Caritas allein“, findet Norbert Altmann. Er vertritt die Dienstgeber der Caritas, die in der Arbeitsrechtlichen Kommission dagegen gestimmt haben, dass der Tarifvertrag Alten-pflege für allgemeinverbindlich erklärt wird.
https://www.caritas.de/fuerprofis/fachthemen/caritas/warum-die-dienstgeber-einen-einheitstari
Sebastian Schoknecht