Die Predigt im Wortlaut:
„Ungewisse Weihnachten“ – so empfinden es Christen in Syrien derzeit. Sie blicken verunsichert in die Zukunft. Zwar geben sich die neuen islamistischen Machthaber moderat, trotzdem haben manche Gemeinden Gottesdienste und öffentliche Feiern abgesagt.
„Ungewisse Weihnachten“ – die Kinder in Syrien kennen Weihnachten nicht ohne Krieg. Die Christen im Heiligen Land erleben unmittelbar Unfrieden. In Myanmar sind besonders die Christen von der ausufernden Gewalt des Bürgerkrieges betroffen. In Vietnam hoffen die Katholiken auf mehr Religionsfreiheit. Ein Priester aus der Ukraine schrieb, mit welchen Gedanken die Gläubigen in seiner Gemeinde Weihnachten feiern und was sie hoffen.
Das ist kein Phänomen in fernen Ländern! Bei uns – in großen Städten rund um bedeutende Kirchen – erhöhte die Polizei an Heiligabend ihre Aufmerksamkeit und Schutzmaßnahmen für die Feier der Christmette. Im vergangenen Jahr sind in Deutschland rund 100 Angriffe auf Christen geschehen. Dazu kommen Angriffe auf Kirchen und christliche Symbole.
Open Doors, ein überkonfessionelles christliches Hilfswerk, berichtet, dass derzeit die größte Christenverfolgung aller Zeiten herrscht. Weltweit sind mehr als 365 Millionen Christen in 78 Ländern wegen ihres Glaubens intensiver Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt. Betroffen sind 317 Millionen der dort lebenden 756 Millionen Christen.
Laut Open Doors herrscht Verfolgung nicht nur, wenn der Staat Einzelne oder ganze Gruppen von Christen wegen ihres Glaubens einsperrt, verletzt, foltert oder tötet, wie es in vielen Ländern Realität ist. Verfolgung herrscht auch dann, wenn Christen aufgrund ihres Glaubens beispielsweise ihre Arbeit oder ihre Lebensgrundlage verlieren, wenn Kinder aufgrund ihres Glaubens oder des Glaubens ihrer Eltern keine oder nur eine geringe Schulbildung bekommen oder wenn Christen aufgrund ihres Glaubens aus ihren angestammten Wohngebieten vertrieben werden. Ebenso verhält es sich, wenn es Christen nicht erlaubt ist, Kirchen zu bauen oder sich auch nur privat zu versammeln. Oder wenn es nicht erlaubt ist, zum Christentum zu konvertieren oder wenn Gläubige mit Konsequenzen für Familie, Besitz, Leib und Leben rechnen müssen. Dann spricht Open Doors von Christenverfolgung.
Open Doors beobachtet zunehmend, dass sich die Verfolgung von Christen von staatlicher Seite immer mehr auf die private Ebene der Familie, der Nachbarn und Dorfgemeinschaften verlagert. Dazu kommt, dass in diesen Fällen ein christenfeindlich eingestellter Staat regelmäßig nicht interveniert.
Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht. Weil es aber immer stärker unter Druck gerät, ist ein Kritikpunkt u.a., dass unsere Regierung sich zu wenig dafür engagiert. Dirk Bingener, Präsident von „missio“ Aachen und des Kindermissionswerks „Die Sternsinger“, übte kürzlich Kritik, weil die Entwicklungshilfeministerin bei ihrer Pakistan-Reise kein Wort zur Religionsfreiheit und zur Lage religiöser Minderheiten in dem Land geäußert habe. Wörtlich sagte er: „Man reibt sich ungläubig die Augen! Erst vor wenigen Wochen jährten sich die Ausschreitungen in der pakistanischen Stadt Jaranwala, bei denen ein islamistischer Mob mehr als 25 Kirchen und hunderte Wohnhäuser von Christen plünderte und brandschatzte.“ In diesem Zusammenhang fragte der sehr besonnene Geistliche Pfarrer Dirk Bingener nach der „wertegeleitete Außenpolitik“.
Der Moraltheologe Peter Schallenberg unterstützt die Kritik Bingeners: „In der Tat fällt auf, dass die Regierung in Sachen Religionsfreiheit und Christenverfolgung äußerst still ist.“ Das entspricht in seiner Wahrnehmung einem gesellschaftlichen Trend in Deutschland, wonach für viele Religion eine zu vernachlässigende „private Spielwiese“ zu sein scheint. Das allerdings hat zur Folge, dass sich auch bei uns in Deutschland eine zunehmende Respektlosigkeit gegenüber Religion insgesamt abzeichnet – besonders deutlich in einem immer hemmungsloseren Antisemitismus, aber auch gegenüber christlicher Glaubenspraxis. Achten Sie nur einmal darauf, wie unter dem Deckmantel künstlerischer Freiheit z.B. in Kabarettsendungen über Kirche und ihre Vertreter gesprochen wird.
Ein in Fragen von Religionsfreiheit engagierter Bundespolitiker stellte kürzlich fest: „Angesichts dessen, dass etwa 90 Prozent der Weltbevölkerung religiös gebunden sind und die Einschränkung der zivilgesellschaftlichen Handlungsräume weltweit zunimmt, spielen die Themen Religion und Religionsfreiheit eine tragende Rolle.“ In einer großen Tageszeitung stand zu lesen: „Weihnachten in Deutschland – Wir sind dann mal kurz fromm“. Umso mehr drängt sich die Frage nach der grundsätzlichen Überzeugung und der inneren Haltung auf.
Deshalb ist es von Bedeutung, dass die Kirche im Zusammenhang mit der Feier der Geburt Christi und damit der Menschwerdung Gottes an den hl. Stephanus erinnert. Die Kirche ehrt Stephanus seit frühester Zeit als ihren ersten Märtyrer und weist so alle nachfolgenden Generationen auf sein Zeugnis für den menschgewordenen Gott hin. Weihnachten will nicht mit sentimentaler Stimmung betören. Christen sollte bewusst sein, dass das Bekenntnis zum menschgewordenen Gott und der Weg der Frohen Botschaft eine Herausforderung bedeuten.
Die Antwort auf die immer weiter um sich greifende Gewalt hat Gott in seiner Menschwerdung, in der Geburt Jesu, gegeben. Papst Franziskus wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es nicht ausreiche, nach sachlichen Lösungen in den großen Konflikten der Welt wie auch im unmittelbaren Zusammenleben der Menschen zu suchen. Deshalb braucht es eine klare geistige und geistliche Haltung, aus der heraus wir leben und handeln. Es muss darum gehen, die Grundlage unseres Miteinanders zu erneuern. Dazu will uns die Botschaft des menschgewordenen Gottes anstoßen.
Doch der Großteil der Bevölkerung und allen voran der Meinungsmacher in unserem Land sind überzeugt, dass das Weihnachtsfest seine religiöse Bedeutung verloren habe. Viele Menschen in Deutschland feiern das Weihnachtsfest ohne Bezug zu seinem religiösen Ursprung und ohne Bezug zu seiner bleibenden Botschaft für das Leben. Für achtzig Prozent der Deutschen hat der Glaube keinen Bezug mehr zu ihrem Leben. Sie sind überzeugt, dass es Gott und seine Botschaft nicht braucht für die eigene Lebenspraxis.
Die Ansicht greift seit Jahren um sich und wird deutlich in vielen Diskussionen und Debatten wie z.B. der Frage, ob Kreuze im öffentlichen Raum einen Platz haben. Auch zu Weihnachten wird die Aushöhlung des religiösen Inhalts erkennbar. Sie brauchen nur einmal ihre Weihnachtspost genau anzuschauen. Wer schreibt noch einen Gruß und Wunsch, der auf das eigentliche Weihnachtsereignis verweist? Religiöse Motive werden durch rote Zipfelmützen ersetzt. Was sich inzwischen in der privaten Post mit vielerlei nichtssagenden Motiven abzeichnet, zeigt sich seit Jahren in den Weihnachtsgrüßen von Institutionen, Behörden, Verbänden, Banken, der Wirtschaft, der Industrie, der Medien, der Parteien.
Achten Sie einmal darauf, welche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens für ihre Weihnachtspost noch christliche Motive verwenden oder in ihren Wünschen den Bezug zur eigentlichen Weihnachtsbotschaft anklingen lassen. „Schöne Feiertage, ein friedvolles Fest“, das kann jeder wünschen. Aber die Freude über die Menschwerdung Gottes und seine in der Geburt Jesu deutlich gewordene Wertschätzung für die Menschen, das sollte den Wünschen von Christen zugrunde liegen.
Unsere „political correctness“ ist inzwischen so ausgeprägt, dass wir – nicht nur in den Medien – ständig darauf achten, keinerlei eigenes Profil mehr zu zeigen. Dabei vermissen die Gläubigen der anderen großen monotheistischen Religionen genau das bei uns und sie fragen, was das geistige Fundament ist, auf dem wir stehen und wofür wir stehen. Deshalb bin ich oftmals auch verwundert über die Weihnachtspost einzelner kirchlicher wie auch caritativer Institutionen.
Schon von daher ist es für uns Christen wichtig, dass wir selbst überzeugt und begeistert sind von der Frohen Botschaft, die Gott uns durch Jesus verkündet hat, und dass wir diese in jeder Hinsicht glaubwürdig bezeugen. Es geht darum, dass wir die Botschaft von der Menschwerdung Gottes und seiner grenzenlosen Liebe bezeugen, wo immer wir im Leben stehen und wirken.
Wer aber die Lebensbotschaft des menschgewordenen Gottes zur Grundlage seines Denkens, seiner Entscheidungen und seines Handelns macht, der braucht Mut, denn er wird immer wieder auch Widerspruch erleben. Der Blick durch die Geschichte lehrt, dass die Christen und die Kirche immer dann besonders wichtig waren, wenn sie im Widerspruch zum allgemeinen Trend standen, also zum Mainstream dessen, was „man“ halt heute denkt und tut.
In der Lesung haben wir gehört: „Stephanus tat, voll Gnade und Kraft, Wunder und große Zeichen unter dem Volk.“ Das provozierte Widerspruch und Ablehnung. Denn „… sie konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem er sprach, nicht widerstehen“ und „sie waren aufs äußerste über ihn empört“. Daraufhin flogen Steine.
Ob wir nun an die Christen in aller Welt denken, die wegen ihres Glaubens bedrängt oder gar bekämpft werden oder an die immer häufigeren Beschädigungen religiöser Symbole sowie Schändung von Kapellen und Kirchen in unserem Land oder daran, dass im Deutschen Fernsehen zwar die brennende Kathedrale Notre Dame gesendet und ausführlich darüber berichtet wurde, aber die Einweihung des bedeutenden Gotteshauses wurde nicht übertragen.
Umso wichtiger ist es, dass wir heute auf den hl. Stephanus blicken. Er hat mit der Verkündigung seines Glaubens, seiner Überzeugung, und von daher mit seiner aufrechten Haltung noch bis in sein Sterben hinein die grenzenlose Liebe Gottes bezeugt. Darauf kommt es an – an Weihnachten und von Weihnachten aus das ganze Jahr über. Wer sich auf den menschgewordenen Gott beruft, sollte das nicht vergessen, auch auf die Gefahr hin, dass er dafür kritisiert wird oder gar Ablehnung erfährt. Letztlich aber werden wir – wie Stephanus – den Himmel offen sehen!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Dass wir allen Zeugnis geben,
die da sind und doch nicht leben,
sich betrügen mit dem Schein
Dass wir allen Zeugnis geben,
die am Materiellen kleben,
sich nicht mehr am Kleinen freun
Dass wir allen Zeugnis geben,
die sich selbst zum Himmel heben,
nicht vergeben, nicht verzeihn
Dass wir allen Zeugnis geben,
die verkrampft nach oben streben
und den Weg zum Armen scheu‘n
Dass wir allen Zeugnis geben,
die das Nichts zum Sinn erheben,
sagen, sinnlos sei das Sein
(Wolfgang Steffel)