Die Predigt im Wortlaut:
„Die Frage, wann ich denn wieder arbeiten würde, tut mir weh“ – so lautete die Überschrift in einem in der WELT veröffentlichten Beitrag zur aktuellen Diskussion in unserer Gesellschaft über das Mutterbild. Aber keine Sorge, ich will keineswegs dem insbesondere in reaktionären Kreisen propagierten Klischee das Wort reden, das Frauen am liebsten auf Kochen, Waschen, Kinder und Pflege von Angehörigen reduzierten möchte. Dennoch macht es nachdenklich, wie stark die Haltung, sich eher gegen Kinder oder allenfalls für höchstens ein Kind zu entscheiden, in den Medien Verbreitung findet.
Es finden sich gerade jetzt in den Tagen um den Muttertag Schlagzeilen wie z.B.: „Ich liebe meine Kinder. Aber ich würde mich kein zweites Mal für sie entscheiden“ Eine Aussage, die in diesem Artikel zu lesen war, lautet: „Glücklich wurde ich erst, als ich mir eingestand, dass mich das Muttersein nicht glücklich macht.“ Die Verfasserin des Artikels schreibt u.a.: „Um mich morgens in Ruhe fertig machen zu können, lass ich die Kinder zum Frühstück Tablet schauen. Oder ich erlaube eine Serie auf dem Handy, damit ich Fritz schnell in den Kindergarten schieben kann.“
Andererseits fand ich in einem Artikel unter der Überschrift „Kinderlose Menschen haben das deutlich angenehmere Leben, aber …“ die Feststellung einer Mutter mit drei Kindern: „Am Ende des Tages weiß man, wie viel Sinnvolles man getan, wie viel Rat, Trost, Liebe man gegeben hat. Und wie glückselig einen das macht. Kinder: das Beste, was man tun konnte.“ In besagtem Artikel wird ausgeführt: „Die Geburtenrate ist in Deutschland massiv gesunken: von 1,57 Kindern pro Frau im Jahr 2021 auf 1,36 im Jahr 2023“ laut Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. „Für die Gesellschaft wäre eine Geburtenrate von 2,1 Kinder pro Frau ideal – dann würde die Bevölkerung nicht schrumpfen.“ Dazu wird erläutert: „Die Folgen dieser Entwicklung: geringeres Wirtschaftswachstum, Fachkräftemangel, Überalterung, größere Belastung der Sozialsysteme, multikulturellere Gesellschaften (weil man mehr Einwanderer braucht, um den Rückgang der einheimischen Bevölkerung zu kompensieren).“
Einer der immer wieder genannten Gründe, die eine Entscheidung für Kinder erschweren, ist die Tatsache, dass sehr vielen Väter der Wille fehlt, die Sorge um die Familie partnerschaftlich zu gestalten, also auch mehr Mitverantwortung zu übernehmen. Hinter all den vielen Motiven, sich gegen Kinder zu entscheiden, steckt aber meines Erachtens eine einseitige Sicht und Bewertung des Lebens. Der Blick nur auf den Augenblick, auf das Hier und Jetzt denkt nicht so weit, nämlich dass der Tag kommen wird, an dem all die den Kindern geschenkte Zuwendung und Liebe erwidert, wahrgenommen und erfahrbar wird in der Begleitung im Alter und den möglichen Gebrechen. Ebenso strahlen die Augen eines alten Menschen, wenn er oder sie erzählt, wie sich die eigenen Kinder entwickelt haben und was aus ihnen geworden ist. Wie freuen sich betagte Menschen, wenn sie hören dürfen: „Ihre Tochter, Ihr Sohn, Ihre Enkelin, Ihr Enkel hat viel Ähnlichkeit mit Ihnen …“ oder „…hat einiges von Ihnen übernommen …“
Am Ende zählt nicht das Bankkonto, sondern der Zugewinn an Leben durch Kinder!
Das alles hat nichts mit einem „Mutterkult“ zu tun, der angeblich von konservativ-katholischen, wie auch von politisch reaktionären Kreisen propagiert würde. Es geht letztlich um eine wesentliche Dimension des Menschseins. Diese wiederum hängt von der persönlichen Lebenseinstellung ab. Eine solche kann und sollte von der Gesellschaft und deshalb vom Staat gefördert werden. Die Förderung bedeutet aber nicht, dass der Staat sich des Grundrechtes auf Elternsein bemächtigt und die Erziehung der Kinder in seinem jeweils politisch aktuellen Sinne übernimmt.
Der Staat muss tatsächlich aktiv werden und die Rahmenbedingungen so gestalten, dass junge Eltern „Ja“ sagen können zu Kindern, besonders in einer veränderten sozialen Vernetzung, wo die Großfamilie immer weniger unterstützen kann und als Entlastung in der Nähe ist. Von daher ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei uns noch stark ausbaufähig. Aber dabei gilt es, nicht in erster Linie die Belange der Wirtschaft im Blick zu haben, die höchstes Interesse daran hat, dass die Mütter möglichst schnell wieder in das Berufsleben integriert werden. Bei der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist es wichtig, in erster Linie „vom Kind her (zu) denken“, wie es der kürzlich verstorbene Alois Glück sagte.
Und ein Kind braucht gerade in den ersten Lebensjahren ganz intensiv die Nähe und Zuneigung seiner Eltern, ganz besonders seiner Mutter. Mit ihr gewinnt es festen Boden unter den Füßen und findet emotionale Stabilität.
Die Zukunft unserer Gesellschaft und auch der Erfolg der Wirtschaft hängen nicht von optimal funktionierenden Menschen ab, die von Kindesbeinen an für den Markt fit gemacht und ausgebildet wurden. Eine lebenswerte und menschenwürdige Gesellschaft hängt davon ab, dass sie von Persönlichkeiten getragen und geprägt wird, deren Herzensbildung und Prägung sich entfalten konnte in der Umgebung von Menschen, die ihnen von Natur aus am nächsten sind.
Bei einem „Treffen zur Förderung des Nachwuchses in Familien“ in Rom sagte Papst Franziskus vor zwei Tagen: „Das Leben ist kein Problem, sondern ein Geschenk.“ Er beklagte zum einen den ungezügelten, blinden Materialismus und Konsumismus, der nur sich und die eigenen Interessen sieht, und zum anderen die fehlenden und immer weniger vorhandenen, generationsübergreifenden sozialen Netze. Vor einem Jahr sagte der Papst bei diesem „Treffen zur Förderung des Nachwuchses in Familien“: „Ohne Kinder gibt es keine Hoffnung und kein Vertrauen in die Zukunft … und das hat nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesellschaft, sondern bedroht das Vertrauen in die Zukunft“.
Allerdings beschleicht mich immer stärker das Gefühl, dass sich die rein materialistische Sicht der Welt und des Lebens in der Ökonomisierung von immer mehr Lebensbereichen spiegelt. Deshalb werden auch die Fragen von Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern zumeist von den Interessen der Ökonomie her bedacht und weniger von Seiten der Kinder. Wenn Kinder im Mittelpunkt stehen würden, dann müssten als erste Ziele Herzensprägung und emotionale Bildung und Bindung stehen und erst dann Verstand, Vernunft und Denkvermögen. Die Garanten für die Herzens- und Persönlichkeitsprägung sind zweifelsfrei in erster Linie die eigenen Eltern.
Dass es zum Leben weit mehr braucht als institutionalisierte Betreuung und kognitive Bildung, sondern vor allem Vertrauen ins Leben und Vertrauen in Gott, der mich hält und an den ich mich halten kann, das wird leider völlig außer Acht gelassen. Ich jedenfalls kann sagen, dass ich meinen Glauben und meinen Halt im Leben meinen Eltern verdanke, die sie mir in die Wiege gelegt haben und der sie selbst bis zum letzten Atemzug getragen hat.
Das Gespür, dass jemand da ist, der „Ja“ zu mir sagt, auch mit meinen Fehlern, Schwächen und Unzulänglichkeiten, das kann sich nicht entfalten, wenn ich nur das Produkt menschlicher Planung bin, wenn ich nicht spüren darf, dass ich eben nicht Last und lästig, sondern geliebt bin.
Deshalb erschreckt mich die Entwicklung technischer Möglichkeiten mit denen menschliches Leben mehr und mehr „gemacht“ wird, um den Wunsch von Paaren in allen denkbaren Konstellationen und nach deren eigenen Vorstellungen zu erfüllen. Leben ist ein Geschenk des Schöpfers, das uns Menschen als Gabe und Aufgabe anvertraut wird. Doch Gott, so meine Befürchtung, spielt immer weniger eine Rolle im Denken, Planen und Handeln von zunehmend mehr Menschen – wohlgemerkt immer weniger in unseren westlichen Breiten.
Für das Gelingen, für das Glück und die Erfüllung des Lebens wird offenbar nicht mehr mit Gott und seiner Hilfe gerechnet, sondern alles scheint abhängig vom eigenen Tun. Deshalb ist die biblische Botschaft dieses Tages so wichtig: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe“, sagt Jesus und er fügt hinzu: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“
Ein Mensch, der nicht nur sich im Blick hat, sondern sich anderen öffnet und zuwendet, der darf dann erleben, was Jesus verheißt: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird.“
Von dieser Erfahrung beseelt schreibt der Verfasser des ersten Johannesbriefes: „Wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott.“
Im Blick auf die lebenswichtige Aufgabe als Mutter und die Erfüllung, die dabei erfahren werden kann, ist es wichtig, dass die Gesellschaft ebenso wie die Kirche ihre Solidarität durch Unterstützung und Entlastung von Eltern bewusst wahrnehmen. So kann das „Ja“ zu Kindern bestärkt werden.
Die eingangs zitierte Überschrift lautet: „Die Frage, wann ich denn wieder arbeiten würde, tut mir weh“ sollte deshalb nachdenklich machen. Ich möchte sie eher in den Appell wenden: Wenn wir der Frohen Botschaft, die uns heute an Herz gelegt wurde, folgen, und das „Ja“ zu Kindern auf vielerlei Weise unterstützen, dann werden wir als Gesellschaft das Leben erst wirklich in seiner ganzen Fülle und in seinem Glück gewinnen!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Gott,
gib mir viel LIEBE mit
und viel Zärtlichkeit.
Lehre mich Geduld
und bringe mir das HOFFEN bei.
Vermittle mir Sicherheit
und Geborgenheit durch den GLAUBEN.
In dieser hektischen,
rücksichtslosen Zeit
brauche ich viel
MENSCHLICHKEIT.
(Autor unbekannt)