Die Predigt im Wortlaut:
„Die Fastenzeit wird immer beliebter“, war dieser Tage in einem Nachrichtenportal zu lesen. Es folgten Anregungen von Ernährungsberatern bis hin zur Fastenpraxis in Klöstern. Sogar der hl. Benedikt und der hl. Hieronymus, die im 5./6. Jahrhundert lebten, wurden als Hinweisgeber bemüht: „Wenn Du vollkommen sein willst, ist es gut, keinen Wein zu trinken und kein Fleisch zu essen.“ Die Menschen sollten sich wie im Paradies nur von dem ernähren, was der Erdboden hervorbringt.
Das ist gewiss ein sinnvolles Vorhaben zur Förderung der körperlichen Gesundheit des Einzelnen. Und es ist gewiss ratsam, auf die Ernährung und genügend Bewegung zu achten und so auch das Gewicht zu reduzieren, um den Organismus weniger zu belasten.
Aber das ist allenfalls ein Aspekt der kirchlichen Fastentradition und der heute beginnenden Fastenzeit. Über die teilweise ungesunde Ernährung hinaus, wodurch wir den Bauch füllen, wäre es doch wichtig, uns immer wieder ganz bewusst zu fragen: Was nehmen wir ansonsten alles in uns auf, das unseren Kopf, unser Herz, unser Denken belastet und krankmacht?
Wie viele der gängigen Lebensrezepte erweisen sich als folgenschwer. Ich nenne z.B. Gier, Geiz, Habsucht, Egoismus, Konsumflut, Geringschätzung von Menschen mit Behinderungen, Alten und Gebrechlichen, Fremdenfeindlichkeit, Menschenverachtung, Hass, mangelnde Bereitschaft zu Solidarität, Verantwortungslosigkeit bis hin zu Vergnügungssucht, wo Menschen einander nur benutzen und gebrauchen, erweisen sich als folgenschwer!
Plötzlich leidet die geistige Beweglichkeit, wie sich das derzeit in den Berichten über konspirative Treffen zu Themen wie „Remigration“ andeutet bis hin zu den Äußerungen von Putin und Trump in den vergangenen Tagen als sie über Sinn bzw. Unsinn von Kriegen redeten. Wer so auf sich selbst fixiert ist, der tritt auf der Stelle, kommt nicht mehr weiter und verliert den Weg zueinander, der sieht im Grunde keinen Sinn, keine Perspektive mehr für das eigene Leben.
Was wir so im Blick auf den Einzelnen immer wieder bedenken sollten, ist ebenso notwendig im Blick auf unsere Gesellschaft insgesamt, denn die derzeitigen Krise – im Blick auf die Wirtschaft, die Umwelt, den sozialen Bereich bis hin zur Gefahr für den Frieden – sind im Grunde die Auswirkungen einer äußerst ungesunden Lebensweise.
Der sogenannte Turbokapitalismus hat viele nicht nur blind gemacht für den eigentlichen Sinn des Lebens und die Freude daran. Der sogenannte Turbokapitalismus hat auch viele gesunde Strukturen eines vertrauensvollen Miteinanders zerstört.
- Vertretern von Berufen, denen wir früher unser Geld, unser Hab und Gut, anvertraut haben, begegnen wir heute mit Misstrauen.
- Interessenvertreter, ob von Gewerkschaften, Parteien oder Berufsverbänden, sind uns nicht mehr geheuer, weil wir den Verdacht hegen, dass sie nur ihre Eigeninteressen im Sinn haben.
- Bei Erziehern und Lehrern wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob es in der pädagogischen Arbeit nur um die Erziehung zur Marktfähigkeit geht und in erster Linie nicht um Herzensbildung.
- Menschen, von denen wir immer Hilfe in Krankheiten erwartet haben, beargwöhnen wir, ob sie nur Geld und Honorare oder vor allem den Menschen im Blick haben.
Der Turbokapitalismus, dessen Ziel es ist, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu erwirtschaften, hat nicht nur die Wirtschaft, sondern hat auch unsere Gesellschaft, hat viele Menschen krankgemacht! Die Devise lautete über Jahrzehnte hinweg: „Immer mehr!“ Damit einher ging die Haltung im Blick auf praktizierte Solidarität: „Immer weniger!“ Das lässt sich z.B. an der Bereitschaft zum Spenden ablesen: 2023 gingen zwölf Prozent weniger als 2022 an Spenden ein, wie es die „Bilanz des Helfens“ des Deutschen Spendenrats aufweist. Die Zahl der Spender sei im Vergleich zu 2022 um rund 1,7 Millionen Menschen gesunken.
Damit es an dieser Stelle klar ist: Es geht nicht um das Geld, es geht um die Bereitschaft über sich selbst hinauszudenken und um die Bereitschaft zur Solidarität. Deshalb ist es notwendig, die heute begonnene Zeit der Besinnung, des Nachdenkens und der Umkehr zu nutzen.
Um wieder gesund zu werden, ist es für den Einzelnen wichtig,
- den Zusammenhang von seelischer und körperlicher Verfassung zu sehen
- und das eigene Leben in einem größeren Zusammenhang wahrzunehmen, nämlich in der Verbindung mit Gott und durch ihn mit anderen.
Und für die Gesellschaft ist es entscheidend, ja geradezu notwendig, zu erkennen, dass das Zusammenleben in einer menschlichen, menschenwürdigen und gerechten Welt eine geistige Grundlage braucht. Paul Weismantel hat dazu den empfehlenswerten Begleiter durch die Tage der Fastenzeit verfasst mit dem bemerkenswerten Titel „Grunderneuert“. Die Gedanken geben uns wertvolle Impulse, worauf es ankommt, damit ALLE gut leben können.
Im heutigen Evangelium überliefert Matthäus dazu wichtige Hinweise von Jesus. Sie sind nicht nur für uns Kirchgänger, sie sind für alle Menschen beachtenswert:
„Almosen geben“, das bedeutet: Den Blick für den Nächsten und seine Bedürfnisse offenhalten.
Es bedeutet nicht nur, hin und wieder etwas zu spenden, sondern es meint viel mehr: ein waches Gespür haben für die Nöte und Bedürfnisse der anderen, spüren, wo sie meine Hilfe brauchen, und anpacken, und nicht noch zu Lasten anderer den eigenen Profit suchen.
„Beten“, das bedeutet: Immer wieder die Verbindung mit Gott suchen, aus dieser Verbindung zu leben versuchen, daraus immer neu Kraft schöpfen. Denn es braucht Kraft, wenn ich ein besserer Mensch werden will.
Auf diesem Weg gibt es viele Enttäuschungen. Da wird man immer wieder Anlass haben zu sagen: „Es hat ja doch keinen Sinn! Es ändert sich ja doch nichts.“
Im Gebet erhalte ich die Kraft, mich immer neu einzusetzen. Von hierher kommt unsere Hoffnung als Christen. Beten heißt, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, was Gott will für diese Welt. Und auch, was er von mir erwartet, wie er mich haben will, was ich mit meinen Gaben, Begabungen und Möglichkeiten in seinem Sinne für eine gute Welt tun kann.
Und „Fasten“, das bedeutet jedenfalls nicht: Sich selbst augenfällig zu kasteien.
Im Gegenteil, es geht darum, sich ernsthaft zu fragen: Was tut mir wirklich gut?
Und dazu hilft es, wenn ich auf manches verzichte, was ich sonst so selbstverständlich nutze. Damit bekomme ich den Blick frei für das, was ich wirklich zum Leben brauche.
Almosen geben, Beten und Fasten sind drei Grundübungen für ein gesundes Leben.
Wenn es also heißt: „Die Fastenzeit wird immer beliebter“, dann muss es um mehr gehen, als nur darum, den Körper in Form und die organischen Funktionswerte in Ordnung zu bringen. Es geht um sehr viel mehr, nämlich um den ganzen Menschen.
Wenn also jeder von uns jetzt mit Asche bezeichnet wird und wir dabei aufgerufen werden mit dem Satz: „Kehr um und glaub an das Evangelium“, dann ist das eine entscheidend wichtige Einladung, uns Gott zuzuwenden. So tut der Einzelne etwas für seine geistige und auch für seine körperliche Gesundheit. Und durch viele Christen, die wieder neu den Sinn und den Wert des Lebens entdeckt haben, kann auch das Zusammenleben der Menschen, unsere Gesellschaft gesunden und menschlicher werden.
Der Volksmund sagt: „Am Aschermittwoch ist alles vorüber, ist alles vorbei...“ Als Christen wissen wir, dass am Aschermittwoch durch unser Nachdenken und unsere Hinwendung zu Gott und zur Frohen Botschaft ein neuer Weg beginnen kann, der uns letztlich zu einem guten, sinnvollen, menschenwürdigen, beglückenden und erfüllenden Leben führt.
Am Aschermittwoch ist eben nicht alles vorbei, nein! Nun können wir – der Einzelne und die Gesellschaft – neu beginnen, um wieder gesund zu werden an Körper und Geist, an Leib und Seele!
An Aschermittwoch geht es neu los. Machen wir uns auf den Weg! So werden die kommenden Wochen nicht nur zu einer immer beliebteren Zeit, sondern zu einer für das Leben wichtigen Zeit!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Umkehren müssen,
weil ich mich verlaufen habe,
verrannt, verfahren, in eine Sackgasse gelaufen.
Umkehren müssen,
weil ich zuweilen nicht anders die Richtung finde,
als dass ich von vorne anfangen.
Umkehren müssen,
weil ich mich des Zieles vergewissern muss.
Umkehren müssen,
weil ich meine Kräfte falsch eingeschätzt habe.
Umkehren müssen,
weil ein Hindernis mich zwingt.
Umkehren müssen,
weil Gott meine Niederlage nicht will.
Umkehren wollen,
weil jetzt die Zeit der Gnade und des Heiles ist.
Umkehren wollen,
weil es Wege, Mittel und Hilfen gibt,
die Dinge wieder in Ordnung zu bringen.
Umkehren wollen,
weil Gott nie aufhören will, mit uns anzufangen.
Umkehren wollen,
um sich der Herausforderung zu stellen
und Neues zu wagen.
Umkehren wollen
einen Schritt auf dem Weg,
auf dem uns Gott tausend Schritte entgegenkommt.
Umkehren können,
weil es bei Gott keine zugeschlagenen Türen gibt.
Umkehren können,
weil die Kräfte noch ausreichen.
Umkehren können,
weil es der Ehre keinen Abbruch tut.
Umkehren können
einen Schritt aus Gottes Kraft. Amen!
(Autor unbekannt)