Die Predigt im Wortlaut:
Es war ein zutiefst berührender Moment. Über viele Wochen hinweg haben wir in diesem Jahr mit einem Kreis von Freunden und Freundinnen einen Mitbruder auf seinem zunehmend schwierigeren Leidensweg begleitet. In seiner letzten Stunde saß ich bei ihm und habe ihm schließlich nach einem letzten tiefen Schnaufen die Augen verschlossen.
Es ist ein zutiefst berührender Moment, wenn ein Mensch sein Leben in die Hand Gottes legt und sich die Gesichtszüge, die von der Last der Krankheit gekennzeichnet waren, plötzlich entspannen und einen friedlichen Ausdruck ergeben. Auch wenn das Herz sagte, dass der Verstorbene nun in guten Händen, bei Gott, ist, dennoch war es umgehend unser Anliegen, wie wir die Beerdigung gestalten. Mit dem Tod war unsere Wertschätzung für den verstorbenen Freund nicht zu Ende und es war uns allen wichtig, mit seinem Leichnam würdevoll umzugehen. Schließlich handelt es sich um seinen Körper, durch den er sich mitgeteilt, Aufmerksamkeit, Interesse, Freundschaft gezeigt, anderen Hilfe und Unterstützung geschenkt hat.
Bei unzähligen Beerdigungen, die ich im Laufe der Jahrzehnte gehalten habe, wurde für mich stets deutlich, dass Hinterbliebene im Innersten zutiefst berührt sind, wenn die sterblichen Überreste beigesetzt werden. Ebenso war ich bei der Beerdigung meiner Eltern oder sehr guter Freunde zutiefst bewegt. Es geht schließlich um etwas ganz Persönliches, das mit dem Leben der Verstorbenen und dem eigenen Leben zu tun hat. Deswegen haben die Christen über die Jahrhunderte hinweg eine Kultur der Bestattung entwickelt, an der sich ihr Glaube an die Vollendung des Lebens bei Gott ablesen lässt. Wer einmal in Rom eine der Katakomben besucht hat, kann an den gut erhaltenen Grabplatten die Lebensgeschichten des Verstorbenen ablesen, die letztlich zu Gott führt.
Völlig anders entwickelt sich die Kultur der Bestattung in unserer Zeit. Wir brauchen – und das ist Landauf Landab gleich – nur einmal über die Friedhöfe in Stadt und Land zu gehen: Von Jahr zu Jahr wächst die Zahl der Gräber, die aufgelassen werden. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: das hat auch mit der inneren Einstellung zum Leben, zum Sterben und dem Glauben an die Auferstehung zu tun!
Im Blick auf Allerheiligen und Allerseelen wurde eine bundesweite Umfrage durchgeführt. Danach glaubt nur knapp jeder Fünfte in Deutschland fest an ein Leben nach dem Tod, nämlich genau 18 Prozent der 2.043 Befragten. Sie antworten mit „Auf jeden Fall“.
Die Umfrage bestätigt ebenfalls, dass Christen zuversichtlicher sind: 23 Prozent der katholischen Christen glauben der Umfrage zufolge fest an ein Leben nach dem Tod; knapp 30 Prozent halten es für wahrscheinlich. Unter den nichtgläubigen Befragten lagen die entsprechenden Anteile nur bei 8 Prozent.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage: „Wie viel Angst – wenn überhaupt – haben Sie vor dem Tod?“ Darauf antworteten 17 Prozent mit „Viel“, 47 Prozent mit „Ein wenig“, 27 Prozent mit „Überhaupt keine“ und 9 Prozent mit „Weiß nicht“.
Ich habe zuvor den Zusammenhang zwischen dem Glauben und der Bestattungskultur angesprochen, den ich wahrnehme. Deswegen habe ich dieser Tage mit Aufmerksamkeit die Meldung Tage gelesen, wonach das Berliner Unternehmen „Meine Erde“ eine sogenannte Reerdigung als Bestattungsform propagiert. Es geht dabei um die beschleunigte Verwesung von Leichen in einem Schnellkompostierer. Dabei wird der Leichnam in eine Art geschlossenen Kokon gelegt und innerhalb von 40 Tagen zu Humus umgewandelt.
Schleswig-Holstein hat diese Bestattungsform als erstes Bundesland in einer Pilotphase ermöglicht. In Sachsen-Anhalt gibt es Bestrebungen, diese Bestattungsform zuzulassen. In Bayern wurde auf die bestehende gesetzliche Bestattungspflicht hingewiesen. Außerdem liege, so die Antwort der Staatsregierung „eine Verletzung der Würde des Verstorbenen und des Pietätsempfindens der Allgemeinheit“ nahe.
Der Leiter des Katholischen Büros in Sachsen-Anhalt schrieb in seiner Stellungnahme: „Die öffentliche Signalwirkung der Reerdigung finden wir höchst bedenklich. Eine Wahrnehmung persönlicher Identität im Tod ist hier anders als bei Sarg oder Urnenbestattung nicht gegeben.“ Dem gegenüber nennt die Pastorin von Mölln im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg die neuartige Bestattungsform „eine gute Alternative“. In ihrer Erklärung dazu heißt es: „Auch das Ende des Lebens zahlt auf den ökologischen Fußabdruck jedes Menschen mit ein.“ Im Vergleich zur Feuerbestattung spare die Reerdigung bei jedem Toten eine Tonne CO2 ein. Der Leichnam werde auf Heu, Stroh und Blumen gebettet, dann übernehmen die Mikroorganismen die Kompostierung. „Die Idee der Reerdigung hat uns sofort eingeleuchtet. Sie ist eine gute Alternative für alle, bei denen eine Bestattung im Sarg oder eine Feuerbestattung Unbehagen auslösen“, sagt die Möllner Pastorin.
Ich frage mich, wird bei solcher Argumentation nicht die Würde des Menschen nicht reduziert auf seine biologische Existenz – neben den anderen Lebewesen?
Damit komme ich wieder zum Beginn meiner Predigt. Der Gedanke an eine Kompostierung wäre uns im Freundeskreis nie gekommen, als wir Ende August diesen Jahres Abschied von unserem Mitbruder und Freund genommen haben.
Uns allen war und ist bewusst: Sterben und Tod gehören ebenso zum Leben wie der Anfang mit Werden, Wachsen und Geburt. Beide Lebensphasen aber – davon sind Christen zutiefst überzeugt – werden umgeben und gehalten von Gottes guten Händen, der uns Leben in Fülle schenken will. Dazu hat er uns in Jesus den Weg gezeigt – sogar über den Tod hinaus.
Weil Gott nicht vergeht, vergeht auch nichts von dem, was er an uns liebt. Da bleibt nicht nur ein Schatten der Erinnerung. Bei ihm ist Platz für den ganzen Menschen. Der ganze Mensch – dazu gehört auch der Leib. Umso drängender ist die Frage: Was meint Auferstehung des Leibes?
In unserer naturwissenschaftlich geprägten, ja geradezu wissenschaftsgläubigen Welt haben wir eine viel zu enge Vorstellung von dem, was Leib bedeutet. Leib, das sind nicht nur Knochen, Fleisch, Blut und Blutkörperchen!
Der Leib ist auch das, wodurch wir Menschen erst unser Leben gestalten können. Erst durch den Leib können Gefühle wie Liebe, Zuneigung, Geborgenheit, Nähe, Freundschaft und Dank ausgedrückt werden. Durch den Leib ist Einsatz für andere, ist Wahrnehmung von Freude, aber auch von Schmerz und Trauer möglich.
Ewig unsterblich ist sicher nicht die Materie unseres Leibes, aber doch das, was wir durch unseren Leib geworden sind und was so unsere Einmaligkeit und Identität ausmacht.
Deswegen behandeln Angehörige einen Verstorbenen würdevoll. Darum pflegen Hinterbliebene das Grab, besuchen es immer wieder, um so auch die bleibende Verbindung für sich erlebbar zu machen.
In der biblischen Botschaft haben wir zuvor die Antwort des Apostels Paulus an die junge Christengemeinde in Thessaloniki gehört. Dort war eine Frage aufgekommen, die die Gläubigen ganz stark beschäftigte: Was geschieht mit unseren Verstorbenen? Sie waren in dem Vertrauen gestorben, dass der Auferstandene wiederkommen und alles zur Vollendung führen würde.
Paulus macht deutlich, dass Jesus, der selbst den Weg durch den Tod gegangen war, zur Auferstehung gelangt ist, und dass er auch die Verstorbenen zur Herrlichkeit Gottes führen wird.
Alles steht und fällt also mit dem Glauben an den Auferstandenen.
Deshalb kennzeichnet es Christen, dass sie ihren Verstorbenen Wertschätzung durch ein würdevolles und hoffnungsvolles Begräbnis schenken und dass sie gerade in der Erfahrung von Abschied und Trauer mit der Feier von Tod und Auferstehung Jesu beim Requiem ihrer Hoffnung Ausdruck geben.
Vor einigen Monaten habe ich einen Freund besucht, der jahrzehntelang in der bayerischen Politik eine führende Rolle innehatte. Dabei zeigte er mir im Friedhof an seinem Wohnort, das Grab, das er schon jetzt anlegen und sehr eindrucksvoll gestalten ließ. Auf der eher schlichten Stele aus Stein beeindruckt ein Bronzerelief mit der Darstellung seines Namenspatrons und mit wenigen Worten dabei dessen Lebensmotto.
„Die Bestattungskultur wandelt sich.“ Das stellen wir heute vielfach mit Besorgnis fest. Aber die Liebe Gottes zum Leben verändert sich nicht. Es kommt deshalb darauf an, dass wir uns gerade in der Erfahrung von Sterben, Tod und Abschied von einem lieben, vertrauten Menschen unserer eigenen Lebensperspektive vergewissern. Deswegen schrieb Paulus: „Wir wollen euch über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben.“
Vor zweitausend Jahren fielen die Christen auf, weil sie eine andere Bestattungskultur hatten als die Masse der Menschen, für die der Tod das Letzte und das Ende war. Ich bin überzeugt, die Bestattungskultur wird sich erneut wandeln, wenn die Christen deutlich machen, dass sie in einem weiteren Horizont leben. Ich habe eingangs erzählt, dass es mich innerlich tief berührt hat, als ich unserem Freund die Augen schloss. Die freundschaftliche Verbundenheit, die auch in den Monaten der Erkrankung deutlich wurde, war uns Beweggrund, die Beerdigung so zu gestalten, dass sie Ausdruck seiner und unserer Überzeugung im Leben, unseres Glaubens war.
Von einem klugen, lebenserfahrenen Menschen stammt der Satz:
„Der Verstorbenen zu gedenken heißt, sich der eigenen Zukunft zu erinnern!“
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
LETZTES GEBET
Lass uns nicht fallen
wie die Blätter im Herbst
nicht versinken ins
Nichts, ins Vergessen
lass uns nicht untergehn
denn du bist der Herr
Hebe die Hand
unseretwegen hebe
die Schwerkraft auf
halte uns hoch
halte uns über Wasser
denn du bist der Herr
Doch wenn du es willst
dann lass uns fallen
wie den Regen aufs Land
dann lass uns fallen
in deine Hand
denn du bist der Herr
Lothar Zenetti