Die Predigt im Wortlaut:
Ein „Machtwort“ habe der Ministerpräsident gesprochen. So berichtete der Bayerische Rundfunk. In den Überlegungen zu den Konsequenzen aus der PISA-Studie wurde vorgeschlagen, an Grundschulen pro Woche eine Stunde mehr Deutsch und eine Stunde mehr Mathematik zu unterrichten. Daneben ist pro Woche die sogenannte „Verfassungsviertelstunde“ eingeführt worden. Um den Schülern nicht zusätzliche Unterrichtsstunden aufzubürden, wurde darüber diskutiert, u.a. an den Stunden für Religion zu kürzen. Doch der Ministerpräsident hat die Diskussion mit seinem Machtwort beendet.
Damit ist nicht nur die Diskussion beendet, sondern hoffentlich auch ein klares Signal gegeben worden, dass Religion eine grundlegende Bedeutung hat. Dies wäre umso wichtiger, als nach Beobachtungen des Deutschen Lehrerverbandes an den Schulen der Anteil der Schüler zunimmt, die gesellschaftliche Grundwerte ablehnen. „Es ist so, dass ein Teil der Schüler an Deutschlands Schulen nicht auf dem Wertefundament des Grundgesetzes steht“, sagte vor einigen Tagen der Präsident des Lehrerverbandes Stefan Düll. Auch Schülerinnen und Schüler ohne muslimischen Hintergrund zeigen ihre Verachtung für die Wertekultur des Grundgesetzes, betonte Düll. Der Verbandspräsident sagte weiter: „Solche Schülerbewegen sich zum Teil in einer Parallel-Wirklichkeit: In digitalen Blasen und in sozialen Netzwerken bekommen sie gespiegelt, dass ein derartiges Verhalten, ob nun homophob, rassistisch, antisemitisch oder sexistisch, vollkommen normal ist“.
Deshalb gilt es, die Heranwachsenden zu prägen und ihnen ein festes geistiges Fundament zu verschaffen. Darum darf der Religionsunterricht nicht weiter in Frage gestellt werden.
Gerade in gesellschaftlichen Umbruchs- und Krisenzeiten brauchen Menschen Halt und Orientierung. Die Vielzahl der Proteste in vielen Branchen wie z.B. bei den Lokführern, den Bauern, den Transportunternehmen, den Flughafenangestellten, dem öffentlichen Nahverkehr dem Krankenhauspersonal bis bin zu „Fridays or future“, der „Letzten Generation“ oder den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus – alle diese Proteste sind für mich Ausdruck der zunehmend größeren Unsicherheit und der Orientierungslosigkeit in der Gesellschaft.
Eine Politikerin sagte vor einiger Zeit in einem Interview, das leider keine allzu große Beachtung fand, dass Materialismus und Oberflächlichkeit weite Teile der Gesellschaft erfasst hätten: „Ich glaube, wir haben uns in den vergangenen Jahren verirrt.“
„Verirrt“, das sagt doch aus, dass die Gesellschaft als Ganzes den Weg verloren hat, der sie in eine gute Zukunft führt.
Andererseits macht eine solche Aussage deutlich, dass offensichtlich einige Menschen intensiv über Wert, Sinn und Ziel des Lebens nachdenken. Doch wo erhalten sie Antworten auf ihre Fragen, wo finden sie Orientierung, wo entdecken sie bessere Perspektiven?
In einem Artikel las ich vom „alarmierend gesunkenen Grundwasserspiegel des Glaubenswissens“. Genau deshalb befürchte ich, dass viele gar nicht wissen, wo sie in der Not Halt, Hilfe und Orientierung erwarten dürfen. Und deshalb können sie weder beten noch den Weg zum Gottesdienst finden. Viele reden zwar von Gott, haben aber keine klare Vorstellung von ihm und vor allem keinen Bezug zu ihm.
Der eklatante Verlust an Glaubenswissen nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern auch in unseren christlichen Gemeinden macht deshalb deutlich, wie notwendig wir Glaubenseinführung und Glaubensvertiefung bei uns brauchen.
Gerade weil es um die Grundlage unseres Lebens, unseres Zusammenlebens und um das Fundament für eine menschliche und lebenswerte Zukunft geht, müssen wir in unserer Gesellschaft über mehr als nur über kurzfristige Finanzpakete oder sogenannte „Sondervermögen“ reden. Damit werden ohnehin nur möglichst schnell einige der wirtschaftlichen Probleme gelöst. Wir müssen vielmehr über die Haltung und die Hoffnung reden, die uns zuversichtlich leben und uns verantwortungsbewusst und solidarisch handeln lassen – gerade auch in schwierigen Zeiten.
Deshalb gilt es über die Bedeutung der Glaubensweitergabe zunächst an die Erwachsenen und dann von den Erwachsenen aus an Kinder und Jugendliche nachzudenken: „Nur was unter Erwachsenen gelebt wird, hat eine Chance, unter Kindern und Jugendlichen aufgenommen zu werden.“ Das ist die Lebenswirklichkeit!
Nur so können Heranwachsende dann auch Wege finden, die ihnen weiterhelfen in all den Herausforderungen oder gar Lasten und Zumutungen des Lebens. Wenn Kinder und Jugendliche vorwiegend Erwachsene um sich wahrnehmen, die über ihre Verhältnisse und ohne Maß und ein lohnendes Ziel leben, dann werden sie diesen Stil auch als erstrebenswert erachten.
Wie wesentlich und prägend Verhaltensweisen und Vorbildfunktion eines Menschen sind, erfahren wir auch im heutigen Evangelium: „Am Abend, als die Sonne untergegangen war, brachte man alle Kranken und Besessenen zu Jesus. Die ganze Stadt war vor der Haustür versammelt, und er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus.“ Dem heute gehörten Abschnitt geht unmittelbar der Bericht vom vergangenen Sonntag voraus, nämlich dass er am Morgen dieses Tages zunächst in der Synagoge von Kafarnaum lehrte: „Die Menschen waren sehr betroffen von seiner Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der göttliche Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.“
Jesus hat die Menschen angesprochen. Es war nicht einfach ein „Machtwort“, seine Worte waren mit innerer Macht gefüllt. Er hat nicht nur ihre Ohren, ihren Verstand, wesentlich wichtiger: er hat ihre Herzen erreicht, und sie haben entdeckt, wo sie mit all ihrer Not, mit all ihrer Last hingehen können, wer ihnen hilft. Deshalb ist es wichtig, dass wir Christen mehr und stärker „sprachfähig“ und „auskunftsfähig“ werden über unseren Glauben. Die Kirche, wir Christen, müssen missionarischer werden, um suchende Menschen für Jesus und seine Lebensbotschaft neugierig zu machen und ihnen so zu helfen.
Für den Apostel Paulus war es deshalb, wie wir in der Lesung gehört haben, selbstverständliche Grundaufgabe, das Evangelium zu verkünden.
Wenn wir also an die schlimme Krankheit, die Dämonen unserer Zeit – Gier, Gewinnsucht, Geiz, Egoismus bis hin zu Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Hass – denken, dann kommt es entscheidend darauf an, den Weg zu Jesus zu finden und von ihm zu lernen, was das Leben kostbar und wertvoll macht.
Die KMU-Studie, die Kirchenmitgliederuntersuchung der evangelischen und der katholischen Kirche in Deutschland, hat eine wichtige Erkenntnis zu Tage gefördert: Bislang hieß es, dass viele Menschen in unserem Land sagen würden: „Glaube ja, Kirche nein!“ Die Studie stellt aber fest, dass die meisten so denken: „Ich brauche keinen Glauben für mein Leben, also brauche ich auch keine Kirche!“
Die Krisen der vergangenen Jahre – die Wirtschafts-, Finanz-, Coronakrise – wie auch jetzt die demografische Entwicklung mit der Folge u.a. des Fachkräftemangels sowie der Klima- und Umweltkrise wie auch die kriegerischen Auseinandersetzungen ob in der Ukraine oder im Nahen Osten – alle diese Probleme haben noch nicht wirklich zu einem grundsätzlichen Nachdenken geführt, ob die geistige Orientierung gut ist.
Deshalb möchte ich nochmals unseren Blick auf Jesus richten: Nachdem er den Gottesdienst in der Synagoge besucht und die Menschen dort gelehrt hatte, packte er im wahrsten Sinne des Wortes fest an, um Not zu lindern, Hilfe zu leisten und den bösen Geistern Einhalt zu gebieten.
All sein Tun wurzelte in seiner intensiven Beziehung zu Gott, die er beim Gottesdienst in der Synagoge, beim Lesen in der Heiligen Schrift und – wie wir gehört haben – im persönlichen Gebet vertieft hat, um seine Botschaft immer weiter verbreiten zu können.
Früher hieß es: „Not lehrt beten!“ Das gilt längst nicht mehr. Realistischerweise müssen wir feststellen: Viele wurden nie auf Gott und sein Heil hingewiesen und deshalb finden sie nicht den Weg zu IHM.
Um aber den Menschen wirklich zu helfen, wäre es eminent wichtig, ihnen die Frohe Botschaft Jesu zu verkünden und vorzuleben – in Familie, Gemeinde und wo immer wir zusammenleben und zusammenarbeiten und gemeinsam die Welt gestalten wollen. Es braucht das gelebte Zeugnis in Wort UND in der hilfreichen Tat.
Nur so können wir den Menschen unserer Zeit zu einer tragfähigen geistigen Grundlage verhelfen und dadurch Gier, Geiz, Habsucht bis hin zu rassistischem Denken oder hasserfülltem Umgang eindämmen. So können wir den Horizont und den Blick dafür weiten, dass Leben wesentlich mehr ist als nur das Auskosten des Augenblicks. Dann werden die Menschen wieder den Kontakt mit Gott vertiefen und bei ihm Halt finden in schweren Zeiten.
Wenn wir Christen als Konsequenz aus den derzeitigen Krise lernen würden, wieder Profil zu zeigen und deutlich zu machen, an wem wir uns orientieren, dann hätten die Turbulenzen wenigstens einen Sinn gehabt.
Ein „Machtwort“ ist allenfalls ein erstes Signal. Dem muss dann aber auch die Konsequenz folgen mit unserer eigenen Haltung, unserem Tun und unserem mit Herz gefüllten Wort. Das Leitwort unserer Diözese ist dazu dann eine sehr gute Wegweisung: „Christsein unter den Menschen“.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Wenn ...
Wenn deine Worte unsere Taten würden,
wären wir Einladungen
und offene Türen
und alle könnten kommen.
Wir wären Kometen
am Nachthimmel,
die Wege ausleuchten
für die Suchenden.
Wir wären Brot und Quelle
für die Hungrigen.
Wir wären
Auslegungen deiner Liebe.
Ließen uns nicht treiben
auf den Wellen der Zeit,
wären nicht Strandgut
an den Ufern der Sinnlosigkeit.
Wir wären Menschen
nach deiner Art
und der Himmel würde weit
und wir wüssten,
wozu wir da sind.
Wenn deine Worte unsere Taten würden,
wenn ...
(Hildegard Nies)