Die Predigt im Wortlaut:
„Klimahysterie!“ – so lautet das Unwort des Jahres 2019. Das hat eine Jury von Sprachwissenschaftlern der Technischen Universität Darmstadt befunden. Mit dem Ausdruck „Klimahysterie“ würden „Klimaschutzbemühungen und die Klimaschutzbewegung diffamiert und Debatten diskreditiert“, hieß es in der Begründung. „Er pathologisiert pauschal das zunehmende Engagement für den Klimaschutz als eine Art kollektiver Psychose.“
In der Tat wäre es höchst gefährlich, wenn wichtige und deshalb gute Initiativen, die das Leben und auch das Zusammenleben der Menschen betreffen, als unsinnig abgetan würden. Dennoch mahnt ein Kommentar in der WELT dieser Tage im Blick auf die jetzt angestrebte Verfassungsklage unter der Überschrift „Der ideologisch verzerrten Klimadebatte endlich den Prozess machen“: „Die durch viel Selbstgerechtigkeit, viel Gesinnung und viel Gefühl hochgradig aufgeheizte Klimadebatte könnte auf den Boden der Tatsachen zurückfinden.“
Junge Klimaaktivisten und mehrere Umweltorganisationen haben Verfassungsbeschwerde gegen die Klimapolitik der Bundesregierung eingereicht. Ihre sogenannte Klimaklage stellten sie in Berlin mit emotionalen Worten vor. Eine der Beschwerdeführerinnen, Luisa Neubauer von „Fridays for Future“, erklärte: „Es geht nicht mehr nur um zukünftige Generationen, es geht auch um unsere Generation und unser Leben.“ Die Klimapolitik der Bundesregierung „terrorisiere“ den Freiheitsraum der jungen Menschen in einer Art, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Jetzt könne noch gerade gehandelt werden, das Möglichkeitsfenster allerdings schließe sich „in einem drastischen Tempo“.
Die Diskussion um das für unser Leben wichtige Thema der Bewahrung von Gottes guter Schöpfung, und damit auch einer gesunden Umwelt, hat inzwischen in der Tat teilweise bedenkliche Züge angenommen: Wir brauchen nur an den Song von der Oma als einer „Umweltsau“ zu denken, den nicht wenige in der Medienlandschaft rechtfertigen. Das stimmt mich ebenso nachdenklich wie die unbeschreiblich große Betroffenheit über den unbestritten schrecklichen Verbrennungstod der Affen im Krefelder Zoo. Zugleich nehme ich keine Bekundungen von Betroffenheit wahr, dass bei der unvorstellbaren Feuersbrunst in Australien täglich zahlreiche Tierarten völlig ausgemerzt werden. Ebenso vermisse ich Zeichen der Anteilnahme, wenn in unserem Land ein Obdachloser auf einer Parkbank erfriert. Und wenn es Anteilnahme geben sollte, dann wird zumindest kaum oder zumeist nicht darüber berichtet.
„Es geht … um … unser Leben“, erklärte Luisa Neubauer von „Fridays for Future“ im Blick auf die Verfassungsklage. Da frage ich mich, wo das Engagement in der Breite der Gesellschaft – allen voran in den Medien – bleibt, wenn es zutiefst um das Leben geht. Ich denke an den Lebensschutz ungeborener Kinder, die Wertschätzung für Menschen mit Behinderung, mit Gebrechen, Krankheiten und Leid wie auch an die Begleitung Sterbender. Ich denke aber auch an die vielen sozialen Nöte, die den ökonomischen Interessen untergeordnet werden – wie z.B. die Begleitung von Kindern auf ihrem Weg ins Leben.
Wer das anmahnt, wird schnell als fundamentalistisch oder auch als hysterisch abgetan. Von daher frage ich mich, ob es vor der Diskussion um das natürliche Klima nicht zunächst um das geistige Klima gehen sollte, wenn wir uns wirklich um das Leben und das Zusammenleben und die Zukunft einer lebenswerten und menschenwürdigen Welt sorgen.
Dass das geistige Klima in unserer Welt vergiftet ist, davon wird uns täglich berichtet; das gilt z.B. für die globalen Konflikten zwischen USA, Rußland, China wie auch für die Spannungen um Irak, Iran usw.
Dass das geistige Klima vergiftet ist, zeigen die Diskussionen in Frankreich etwa um die Rente wie auch die Straßenschlachten bei uns im Land in der Neujahrsnacht.
Das geistige Klima ist vergiftet, wenn Menschen wegen ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer kulturellen und religiösen Prägung angefeindet werden.
Dass das geistige Klima vergiftet ist, das zeigen die unaufhörlichen Fake-News, das immer wieder in den sozialen Medien zelebrierte öffentliche Bashing oder Blaming von Menschen, die an den Pranger gestellt werden. Die täglichen Berichte über gewalttätige Konflikte von Menschen nicht nur auf offener Straße, sondern sogar auch im familiären Umfeld sind ein Hinweis auf das vergiftete, ungesunde, lebensfeindliche Klima.
Wenn wir nun die Diskussionen der vergangenen Wochen in den Medien über die Angriffe, Anfeindungen und Drohungen gegenüber Kommunalpolitikern bedenken, so ist auch das ein Ausdruck eines vergifteten Umgangs miteinander. Sie brauchen nur die Kommentare und Äußerungen in den sozialen Medien zu lesen, bei denen der Begriff „unsachlich“ als verharmlosend erscheint, wenn über eine Äußerung von Politikern hergezogen wird, anstatt kluge Argumente anzubieten.
Die Frage nach dem geistigen Klima stellt sich ebenso, wenn wir daran denken, dass viel zu wenig Menschen bereit sind, sich für das Gemeinwesen zu engagieren und für das Ganze Verantwortung zu übernehmen, während die Bürgerinitiativen, die ein einzelnes Anliegen verfolgen, wie Pilze aus dem Boden schießen. Wie oft stehen hierbei nur Einzelinteressen im Blickpunkt. Zugleich wird jeder Gedankenanstoß, jede Initiative von Seiten des Staates, der Politik oder auch der Kirche sofort in Frage gestellt und bestritten, weshalb wir inzwischen sogar von der „Empörungsgesellschaft“ sprechen.
Wenn wir also nach dem geistigen Klima in unserer Welt, in unserer Gesellschaft fragen – dann geht es um mehr als um eine philosophische Diskussion, da geht es um eine Grundhaltung, die das eigene Leben prägt, dann geht es um Werte, die dem Einzelnen wie der Gesellschaft insgesamt Orientierung geben.
Im Evangelium haben wir von Johannes dem Täufer gehört, zu dem die Menschen in Scharen kamen und nach dem Sinn und der Orientierung für ihr Leben fragten. Er verwies sie auf Jesus und SEINE Botschaft: „Ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes!“ ER ist der, der unserem Leben den guten Weg weist. Unsere Sendung ist, SEINE Wahrheit in die Welt zu tragen. Gott bringt Rettung und Heil für die Völker der Erde.
Wenn wir IHM folgen, dann gilt auch für uns das Wort Gottes aus dem Buch Jesaja: „Ich mache dich zum Licht für die Völker …“. Dann wird auch der zweite Teil der Aussage wahr: „… damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht.“
Deshalb kommt es entscheidend auf die Fragen an: Wofür stehen wir? Was bezeugen wir?
Dabei geht es um mehr als nur um eine soziale Initiative, es geht um die Grundlage für ein friedvolles und solidarisches Miteinander, das in Gott verwurzelt ist, und deshalb auch in schwierigen und unsicheren Zeiten trägt und hält.
Deswegen ist es für die nachwachsende Generation ein wichtiges Zeichen, dass alle, die sich für das Miteinander in unseren Gemeinden und Städten engagieren, sich selbst Gott anvertrauen, sich an IHM und SEINER Botschaft orientieren und um SEINEN Segen für ihr Bemühen bitten.
Wir stehen in der Welt von heute an einem entscheidenden Punkt. Das lebenswerte Miteinander der Menschen – ob in einer Gemeinde vor Ort oder im größeren Zusammenhang unseres Landes oder über Kontinente hinweg – hängt nicht davon ab, ob wir technisch, organisatorisch, wirtschaftlich und auch ökologisch die Lebensbedingungen verbessern. Das menschenwürdige und friedvolle Miteinander wird dauerhaft nur möglich sein, wenn es von Gott getragen und von SEINER Lebensbotschaft inspiriert ist.
In diesem Sinne gilt es, sich einzusetzen – auch auf die Gefahr hin, dass dieses Engagement für das Leben und das Zusammenleben als unsinnig oder sogar als hysterisch abgetan wird, denn als „Klimahysterie“ wird wesentlich mehr der Einsatz für das geistige Klima, für das Leben und den Lebensschutz in allen seinen Phasen bezeichnet, als das Engagement für das natürliche Klima.
Wenn das geistige Klima in unserer Welt wieder gesund ist, dann werden wir z.B. nicht nur von der Globalisierung schwärmen, weil wir in alle Welt fliegen und überall Urlaub machen können, weil wir nicht nur die wirtschaftlichen Vorteile nutzen und auf Kosten unterentwickelter Länder unseren Lebensstandard hoch halten, sondern weil jeder Einzelne seine eigene Verantwortung für die Welt und das friedvolle Miteinander der Menschen sieht und dies auch konsequent beherzigt in seinem individuellen Lebensstil.
Deshalb ist es für mich nicht nachzuvollziehen, wenn wir im Wissen um die grundlegenden Probleme im Zusammenleben in unserer Gesellschaft dennoch darüber diskutieren, ob eine werteorientierte, religiöse Erziehung als Bildungsauftrag in der staatlichen Ordnung heute noch vertretbar ist.
Nicht wenige schimpfen und sprechen von „Klimahysterie“, weil Menschen sich mit Nachdruck für den Schutz der natürlichen Umwelt einsetzen. Selbst Meinungsumfragen sollten uns nicht abhalten, uns für ein lebenswertes geistiges Klima einzusetzen, auch auf die Gefahr hin, dass wir als hysterisch bezeichnet werden.
Es braucht mutige, überzeugte und überzeugende Christen, die auf den Weg hinweisen, den Gott uns durch Jesus zu einem menschenwürdigen Leben vorgelebt hat. Darauf weist uns die biblische Botschaft dieses Sonntags, also noch am Beginn des Jahres, hin. Ob wir ihr folgen?
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Was keiner wagt, das sollt ihr wagen
Was keiner sagt, das sagt heraus
Was keiner denkt, das wagt zu denken
Was keiner anfängt, das führt aus.
Wenn keiner ja sagt, sollt ihr’s sagen
wenn keiner nein sagt, sagt doch nein
Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben
wenn alle mittun, steht allein.
Wo alle loben, habt Bedenken
Wo alle spotten, spottet nicht
Wo alle geizen, wagt zu schenken
Wo alles dunkel ist, macht Licht.
(Lothar Zenetti)