Ein wenig Geschichtliches vorab
Eine Tasse Kaffee, eine Stunde Zeit für ein Gespräch zu einem spannenden und überaus relevanten Thema. Vor 15 Jahren, am 18. Juni 2008, wurde das Autismus Kompetenzzentrum Unterfranken als gemeinnütziger Verein gegründet. Die ersten Büros konnten Monate später in der Lindleinstraße 16, in Grombühl, bezogen werden. Im März 2023 wurden die neuen Räumlichkeiten in der Augustinerstraße 6 eingeweiht. Aber das sind nur Äußerlichkeiten. Beim AKU zählen die inneren Werte. „Wir arbeiten im Dreiklang von Beratung, Information und Vernetzung“, steigt Daniela Ursel ins Gespräch über die Aufgaben des AKU ein. Nach dem Studium in Würzburg sei es ein wenig Zufall und Glück gewesen, dass sie das AKU aufbauen durfte. „Der Bedarf war da, und wir haben geschaut, was es für die Autistinnen und Autisten, ihre Angehörigen und für die Fachleute in Unterfranken schon gibt. Und wir haben geschaut, was in anderen Regionen an Unterstützung angeboten wird.“ Seither entwickle sich das AKU kontinuierlich weiter. „Anfangs ging es ganz viel um Schulbegleitung. Da hat sich zum Glück inzwischen sehr viel getan“, so Ursel. „Wir haben von Anfang an geschaut, was die Menschen brauchen, was ihnen hilft.“ So seien unter anderem Elternstammtische, Fort- und Weiterbildungen für Fachleute und ein Training zur Steigerung der Sozialkompetenz ins Leben gerufen worden. „Wir waren in Kliniken und Wohneinrichtungen und haben uns mit vielen Arbeitskreisen vernetzt.“ Inzwischen sei das AKU mit seinen 13 institutionellen Mitgliedern, darunter viele Dienste und Einrichtungen der Caritas, und seiner Fülle an Angeboten selbst zu einem wichtigen und festen Knotenpunkt im Netzwerk geworden.
Die Herausforderungen
„Autismus ist eine neurobiologische Beeinträchtigung, die für Autistinnen und Autisten sowie ihr Umfeld - je nach Ausprägung - viele Herausforderungen mit sich bringt“, sagt Ursel. Jeder Mensch müsse als Individuum gesehen werden, aber allen Autistinnen und Autisten gemeinsam sei eine andere Art der Wahrnehmung, der Kommunikation und damit auch des Sozialverhaltens. „Personen mit Autismus-Spektrum-Störung tun sich oftmals schwer, Gesichtsausdrücke richtig zu interpretieren. Mit Smalltalk und Ironie können sie meistens nichts anfangen. Bestimmte Sinneseindrücke nehmen diese Menschen nicht selten als unangenehm stark wahr.“ All das habe aber nichts mit Unhöflichkeit oder Eigenwilligkeit zu tun, sondern sei Symptom der Beeinträchtigung, gegen die es aber keine Medikamente gebe. „Wir bieten den Menschen mit Autismus Einzel- und Gruppenangebote an und tun viel, um zugleich die Gesellschaft zu sensibilisieren.“ Sie selbst würde es übrigens auch begrüßen, wenn es in Supermärkten ohne laute Beschallung ginge. „Wir leben in Zeiten totaler Reizüberflutung. Für gesunde Menschen ist das schon nervig, für Menschen mit Autismus ist es noch viel mehr.“
Nach wie vor sei auch der Weg ins und durchs Bildungssystem mit Hindernissen gepflastert. „Kita, Schule, Berufsausbildung, überall gibt es ein enges Korsett an Regeln. Für neurotypische Menschen, also für die große Mehrheit, kein Problem, für die mit ASS bedeutet dies erheblichen Anpassungsstress.“ Manches sei mit Begleitung und Assistenz möglich, aber spätestens bei der Berufsausbildung falle das weg. Einige Erlebnisse würden sie besonders nachdenklich machen, sagt die Fachfrau. Kürzlich habe sie von einem Jungen erfahren, der aus der Kita flog, weil die Erzieherinnen nicht mehr mit ihm klarkamen. „Nein, es geht nicht um Vorwürfe und Schuldfragen, aber die Mutter musste ihren Job an den Nagel hängen, um ihren Sohn selbst zu betreuen, weil sich einfach keine neue Kita fand.“ Deshalb gehörten auch Schulungen für Kita-Teams zum Portfolio des AKU.
Auch die Arbeitswelt sei für Autistinnen und Autisten herausfordernd. „Wir haben kaum Leute, die es in Vollzeit schaffen.“ Und manche Probleme, da ist sich Daniela Ursel sicher, seien noch gar nicht richtig auf der Agenda und nennt das Thema „Autismus und Alter“. „Wir reden hier beispielsweise über Wohnraum und Wohnformen für Autistinnen und Autisten, die lebenslang auf Hilfe angewiesen sind.“ Oft stehe die Frage im Raum, wer sich kümmert, wenn Eltern nicht mehr unterstützend da sein werden.
„Was ich aber besonders tragisch finde: Es kann Jahre dauern vom Verdacht bis zur Diagnose.“ Sie kenne die Gründe und wisse, dass eine Differenzialdiagnostik aufwendig sei, aber für die Menschen bleibe es schwer, denn viele Leistungen gebe es erst mit einer gesicherten Diagnose.
Wenn ich mir etwas wünschen darf …
Das AKU sei eine wichtige und richtig gute Sache, schwärmt Ursel. Sie sei dem Bezirk und allen anderen Kostenträgern dankbar für die Finanzierung. „So konnten wir kürzlich eine halbe Stelle aufstocken und sind nun mit zwei Stellen in Vollzeit und einer Verwaltungskraft in Teilzeit besetzt.“ Regelmäßig kämen auch Praktikantinnen hinzu. „Wunderbar wäre es, wenn wir jemanden mit Autismus einstellen könnten“, wünscht sich Ursel. Überhaupt sei mehr Personal immer gut. „Mancherorts ist der Bedarf höher als das, was wir gerade leisten können.“ Auch sonst gebe es viele gute Ideen im Team, die aber mehr Personal erfordern würden. Spenden seien auch sehr willkommen, um neue Projekte angehen zu können.
„Für die Autistinnen und Autisten und ihre Familien wünsche ich mir mehr Akzeptanz in der Gesellschaft. Wir können uns gegenseitig bereichern und das Miteinander schöner machen.“ Außerdem bräuchte es leichtere Zugänge zu den Hilfesystemen.
„Ach ja! Wir sollten endlich aufhören mit den Stereotypen: Autisten sind nicht alle hochbegabt und arbeiten in der IT. Das gibt es auch, aber das ist die Ausnahme. Es braucht eine reflektierte Haltung, die den Menschen, ob nun mit oder ohne Autismus, und nicht irgendwelche Klischees ernstnimmt.“
Und wer noch mehr wissen will?
Daniela Ursel bietet gemeinsam mit Nadine Amend, die selbst Autistin ist, einen informativen und spannenden Podcast an. Er heißt „Im Detail – Der Autismuspodcast“ und läuft auf allen einschlägigen Plattformen. „Wir haben das Format in der Corona-Pandemie entwickelt und inzwischen mehr als 22.000 Zuhörerinnen und Zuhörer erreicht“, freut sich Ursel. Das Feedback sei bislang überaus positiv gewesen.
Auch die Homepage des AKU, erreichbar unter www.autismus-unterfranken.de, hält zahlreiche weitere Informationen, einen Überblick über alle Angebote des Vereins und seiner Mitgliedseinrichtungen und nicht zuletzt eine Literaturliste zu vielen Themen rund um Autismus bereit.
„Und wenn dann immer noch Fragen offen oder Bedarf da ist, kann man sich natürlich an das AKU wenden. Dafür sind wir da“, beschließt Daniela Ursel nach einer Tasse Kaffee und einer Stunde Zeit das Gespräch.
Das Gespräch führte Sebastian Schoknecht