Bayern ist ein reiches Land. Kinderarmut ist im Süden der Republik keines der Top-Themen. Auch im Regierungsbezirk Unterfranken geht es den Mädchen und Buben vergleichsweise gut. Lediglich zwölf Prozent, das ergab eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, leben hier – statistisch betrachtet – unterhalb der Armutsgrenze. Zu verdanken ist dies der nach wie vor boomenden Konjunktur. Auch die Flüchtlingswelle, mit der viele Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in die Region kamen, hat am positiven Trend nichts geändert.
Gesichter hinter der Statistik
Dennoch gibt es sie, die armen Kinder in Unterfranken. Wo Eltern weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung haben, gelten ihre Kinder als arm. Doch braucht es die richtigen Antennen und Sensoren, um diese Armut zu sehen. Sie kommt oft versteckt daher und ist, anders als etwa in den Plattenbausiedlungen Berlins, in den Randbezirken von Hamburg, Duisburg oder Dortmund-Nord kein Massenphänomen.
„Wir merken es bereits in den Kitas“, erläutert Michael Deckert, Fachbereichsleiter im Caritasverband für die Diözese Würzburg und als solcher zuständig für ca. 500 Tageseinrichtungen für Kinder in ganz Unterfranken. „Monatsbeiträge können nicht bezahlt werden, das warme Mittagessen wird im Einzelfall bezuschusst, die Kosten für den Ausflug vom Förderverein übernommen.“ Staatliche Töpfe, die Unterstützung durch private Spenden und Gelder aus der Caritassammlung würden die bestehende Kinderarmut vielerorts kompensieren, ist sich der Fachmann sicher, denn eine Statistik, die dies alles erfasst, gebe es nicht. „Niemand hängt die Armut an die große Glocke“, meint Deckert. Man müsse nur auf den vielen Dorffesten fragen, da wisse keiner was mit Kinderarmut anzufangen. „Wir haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kitas für das Thema sensibilisiert. Sie wissen, was zu tun ist, woher Unterstützung kommt und gehen im Interesse der betroffenen Kinder und Familien sehr diskret damit um. Niemand solle bloßgestellt werden.“ Ohnehin sei es mit Geld allein oft nicht getan. Da, so Fachmann Deckert, greife unter anderem das hilfreiche Netzwerk von Kirche und Caritas.
Ähnlich laufe es an den Schulen, berichtet Sabrina Göpfert, zuständig bei der Caritas für den Bereich Jugend und Familie. Obwohl Bildung eigentlich kostenlos sei, kämen auf Eltern mit Kindern an Grund- und weiterführenden Schulen Monat für Monat Forderungen zu, erläutert Göpfert. „Wenn’s nicht anders geht, fließen auf Antrag hin staatliche Gelder; der Elternbeirat springt ein, die Kirchengemeinde oder eben die Caritas.“ Seit vielen Jahren biete der Verband sogar eine Sommerfreizeit in der Rhön an, sodass Kinder aus sozial benachteiligten Familien Ruhe und Erholung finden könnten. „Die Hilfsangebote für Kinder, Jugendliche und Familien greifen gut, sodass Armutsrisiken verringert werden können“, sagt Göpfert. Gefährdet seien dennoch besonders Kinder alleinerziehender Mütter oder Väter, die nur über ein geringes Einkommen verfügten, so die Fachfrau der Caritas. Wie vielfältig die Problemlagen sind, zeige die Arbeit der Erziehungsberatungsstellen. Wer von Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Grundsicherung leben müsse, stehe vor großen Herausforderungen. „Studien haben gezeigt, dass auch dieses Angebot präsent ist bei den betroffenen Familien. Sie kommen auf die Beraterinnen zu und nehmen die professionelle Hilfe in Anspruch“, so Göpfert. Armut und Armutsrisiken ließen sich nur mit den Menschen gemeinsam in Angriff nehmen.
Armut vielschichtig denken
Armut, auch Kinderarmut, müsse vielschichtiger gesehen werden, meint Caritasdirektorin Pia Theresia Franke. „Natürlich geht es auch um Geld, aber noch um viel mehr. Wer über Armut spricht, muss auch über Bildung sprechen.“ Kinder ohne Bildungsangebot und Förderung, Jugendliche ohne Schulabschluss drohten in prekären Verhältnissen zu landen. Diese Form der Bildungsarmut werde oft von Generation zu Generation weitergegeben. Deshalb, so Franke, mache sich die Caritas für Teilhabe und Chancengleichheit stark. „Solange die Herkunft eines Kindes quasi automatisch über seine Zukunft entscheidet, sind wir nicht am Ziel.“
Caritas richtet eigenen Fachbereich ein
Armut sei ein komplexes Phänomen, führt Caritasdirektorin Franke aus. „Kinder und Jugendliche, Familien, Frühförderung, Bildung, Arbeits- und Erwerbslosigkeit, psychische Belastungen und Erkrankungen, Behinderungen etc. Alles das müsse zusammenhängend in den Blick genommen werden, wo Armut wirklich erfasst und bewältigt werden soll.“ Trotz angespannter Haushaltslage habe sich die Caritas entschieden, diese Herausforderungen in einem neuen Fachbereich „Armut“ zu bündeln und zu bearbeiten. „Uns geht es einerseits darum, den Menschen noch wirksamer helfen zu können. Gleichzeitig wollen wir aber an die Ursachen ran und die Sozialpolitik im Freistaat mitgestalten, sodass Armut, auch Kinderarmut, kein Thema mehr sein muss.“ Dass es in Bayern und Unterfranken so gut laufe, sei eine echte Chance, hier noch mehr gemeinsam anzupacken. „Angesichts der guten Lage sind zwölf Prozent Kinderarmut immer noch viel zu hoch“, so Caritasdirektorin Franke.