Die Predigt im Wortlaut:
„Alles ist mit Vorsicht zu genießen!“ – Das war nicht der Rat einer Ernährungsberatung, sondern das Schlusswort nach einem Bericht über das schreckliche Ereignis in Mannheim in der vergangenen Woche und die vielen bis dahin kursierenden Mutmaßungen.
„Alles ist mit Vorsicht zu genießen!“ – In der Tat werden auf vielen Kanälen Meinungen, Halbwahrheiten, Vermutungen, Verdächtigungen, Unterstellungen usw. verbreitet, dadurch auf jeden Fall Stimmung gemacht und somit Fakten behauptet – für oder gegen jemand.
„Alles ist mit Vorsicht zu genießen!“ – Das haben wir vor der Bundestagswahl erlebt, wo sich – wie das Wahlergebnis zeigt – vor allem die politischen Gruppierungen bzw. Parteien gerade bei jungen Menschen einen entscheidenden Vorteil verschafft haben, die ihre zumeist sehr verkürzten und damit plakativen Parolen intensiv über diese Medien verbreitet haben.
„Alles ist mit Vorsicht zu genießen!“ – Das gilt auch für die Weltpolitik, wie wir derzeit erleben, wo – was bislang nicht vorstellbar war – im Zentrum der Macht vor laufenden Kameras eine regelrechte Show abgezogen wurde, um damit die eigene Idee zu propagieren und durchzusetzen – auch auf die Gefahr, dass dadurch die bestehende Weltordnung, die auf der Balance der Kräfte beruht, zu Fall gebracht wird, um alles neu aufzuteilen und zu ordnen.
„Alles ist mit Vorsicht zu genießen!“ – Diese Vorsicht scheint es nicht mehr zu geben. Alle subjektiven Ansichten werden sofort als Tatsache und Wahrheit behauptet. Wenn jemand bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, über die Erfordernisse nachdenkt und Überlegungen äußert, wird dies sofort – medial begleitet – in Zweifel gezogen, kritisiert und attackiert.
„Alles ist mit Vorsicht zu genießen!“ – Der wesentliche Ruf der Fastenzeit heißt „Umkehr“, griechisch „metanoia“ (μετάνοια), wörtlich: den Sinn, das Denken wenden. Es meint eine grundlegende Veränderung des Denkens. Fastenzeit ist seit alters her eine Chance, das eigene Leben und damit auch das unmittelbare Zusammenleben und das Leben in der Welt zu hinterfragen und diesem eine gute Richtung zu geben.
„Alles ist mit Vorsicht zu genießen!“ – Dazu gibt das heute im Gottesdienst verkündete Evangelium mit dem Bericht über die Versuchungen, denen Jesus ausgesetzt war, einige bedenkenswerte Impulse. Auf jeden Fall wird deutlich: Jesus widerstand den Versuchungen mit dem Wort Gottes. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes gehorsam gegenüber Gottes Wort.
Die drei genannten Orte – die Wüste, die Höhe, also der Berg, und der Tempel, also das Heiligtum Gottes – als die Stätten der Versuchung Jesu sind auch für uns bedenkenswert.
„Wüste“ steckt voller Gefährdungen und Gefahren. „Wüste“ kann Krankheit, Leid, Enttäuschung, Einsamkeit und Resignation bedeuten. „Wüste“ tut sich im Leben immer wieder auf. Es sind die bitteren Erfahrungen, die den Sinn unserer Existenz aufs Äußerste in Frage stellen.
„Wüste“ bedeutet aber auch, dass alles Nebensächliche und Beiläufige wegfällt und somit der Blick frei wird für auf das Wesentliche. Deshalb sind solche Erfahrungen im Leben immer wieder auch eine Chance zum Rückzug, zur Stille und um zu sich zu kommen. In solchen Zeiten erhält auch das Wort Gottes – wie bei Jesus in der Wüste – neue Wirkung und Bedeutung. Das Wort Gottes braucht, um es richtig zu verstehen und auszulegen, immer wieder Konzentration und Reflexion.
Auch der Hinweis auf die Höhe, auf die Jesus vom Teufel hinaufgeführt wurde, also der Berg, ist für uns von Bedeutung. Wenn wir von oben, von hoher Warte auf jemand herabschauen und ihn verachten; wenn wir abheben, herablassend und arrogant mit anderen umgehen, dann ist das – im wahrsten Sinne des Wortes – des Teufels. Die Versuchungen zur Machtausübung und Dominanz über andere sind stets gegeben, besonders wenn die Anderen mir unterlegen, in schwächerer Position sind oder aus anderen Bildungsschichten oder aus fremden Kulturkreisen kommen.
Bei Jesu Versuchung auf dem Berg war es die Versuchung, sich an Gottes Stelle zu setzen. Wir würden umgangssprachlich formulieren: der Größte, der Beste, der Mächtigste oder wie Gott sein zu wollen. Jesus hat diese Versuchung aus seinem Glauben heraus abgewehrt. Er wollte allein der höchsten Instanz über ihm, er wollte mit seinem Tun Gott dienen.
In der Hl. Schrift sind Anhöhen, Berge zumeist Stätten des Heils. Es sind Orte besonderer Gottesnähe und vor allem Stätten der Sendung und Unterweisung: Mose empfing am Sinai das Gesetz, Elija erhielt nach tiefer Lebenskrise am Gottesberg eine neue Sendung und geht aus der Wüste zurück in die Welt; Jesus lehrte die Jünger vom Berg aus. Vom Berg aus sandte er die Jünger in alle Welt. Berge sind Symbole der Neuausrichtung, der Erkenntnis unseres Auftrags und unserer Sendung für die Welt. Deshalb sollten wir in dieser Fastenzeit immer neu solche Orte aufsuchen und Gelegenheiten nutzen, um uns wieder Überblick, Weitblick und Durchblick zu verschaffen, weil „alles … mit Vorsicht zu genießen“ ist.
Der dritte im Evangelium genannte Ort ist der Tempel, das Heiligtum Gottes. Auch Heiligtümer können auch – so paradox das klingt – Orte der Versuchung sein. Wir erfahren es gerade in unserer Kirche derzeit als problematisch, wenn sich neuer Klerikalismus breit macht. Es scheint grotesk, dass die Gefahr zum Klerikalismus nicht nur durch geweihte Dienste, sondern immer mehr auch durch Strategen erlebbar wird, die sich zur Aufgabe gemacht haben, Kirche neu zu organisieren. Leider wird zu wenig deutlich, wie konkret unsere Sendung zum Dienst am Menschen in der Kirche und als Kirche wahrgenommen werden soll.
Unsere Heiligtümer, also unsere Kirchen und Gemeindezentren, unsere Schulen, unsere sozialen und caritativen Einrichtungen, sollen als Orte des Heils wahrgenommen und erlebt werden. Hier soll sich Heil ereignen, wenn Suchende, Fragende, Zweifelnde und Glaubende zusammenkommen und sich gegenseitig im Leben und Glauben bestärken. Wenn das so ist, dann erleben wir Kirche als Heiligtum – im biblischen Bild gesprochen –, als wanderndes Volk Gottes, das immer unterwegs ist mit den Menschen und auf Menschen hin.
Dem entspricht auch die Botschaft unseres Bischofs mit seinem Hirtenwort zur Fastenzeit „Unterwegs als ‚Pilger der Hoffnung‘“. Er weist darauf hin, dass es gilt, sich auf „das Wesentliche zu konzentrieren“, „Durststrecken durchzustehen“, immer wieder „Pausen einzulegen“, „andere mitzunehmen“ und auch „Vorbild gelebter Hoffnung“ zu sein.
In einer Zeit, in der es gilt „alles … mit Vorsicht zu genießen“, sind wir – bewusst oder unbewusst – unzähligen Versuchungen ausgesetzt. Deshalb kommt es für uns Christen darauf an, uns immer wieder am Wort Gottes zu orientieren und von daher unsere Entscheidungen zu treffen im Kleinen wie im Großen, fürs eigene Leben, in Familie und Beruf, in Gesellschaft und Politik.
„Alles ist mit Vorsicht zu genießen!“ D.h., nicht einfach im Mainstream der gängigen oder der verbreiteten Meinung mitschwimmen. Mit dem Wort Gottes im Herzen finden wir den Weg mit Gott, der uns weiterbringt. Wir wehren allen Missdeutungen von Religion und Kirche, aber auch in Gesellschaft, Politik und Welt. So verbreiten wir Glaubensfreude und Zuversicht und machen die Menschen hellhörig für das wegweisende Wort Gottes.
Deshalb „Alles ist mit Vorsicht zu genießen!“ und schließlich mit dem Wort Gottes im Herzen entscheiden.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Sünde ist …zu wenig Liebe.
Nicht, dass ich gut verdienen will, ist Sünde,
sondern wenn ich es auf Kosten anderer tue,
wenn andere dabei zu Schaden kommen,
wenn ich zu unehrlichen Mitteln greife.
Nicht, dass mir das Beten nicht immer gelingt,
ist Sünde,
sondern wenn ich es gar nicht mehr versuche,
wenn mir für Gebet und Gottesdienst
die Zeit zu schade ist.
Nicht, dass ich mich darum bemühe,
meine Zukunft zu sichern, ist Sünde,
sondern, wenn ich ohne Gott auszukommen meine,
wenn ich nicht mehr glaube,
dass mein Leben in der Hand Gottes liegt.
Sünde ist ..... zu wenig Liebe.
(Autor unbekannt)