Die Predigt im Wortlaut:
Eine starke Antwort – so möchte ich sagen! Eine starke Antwort auf die inszenierte und medial verbreitete Ankündigung der „Heidenspaßparty“ in der Posthalle in Würzburg. Wie viele der Einladung der Giordano Bruno Stiftung gefolgt sind, ist bislang nicht veröffentlicht. Wären es sehr viele gewesen, wäre das sicherlich sofort publiziert worden.
Auf der Theresienwiese seien es 800 Personen gewesen, die schon am Gründonnerstag dem Aufruf des „Bundes für Geistesfreiheit“ gefolgt seien und gegen die stillen Tagen wie den Karfreitag mit Tanz, Umzug und weithin hörbarer Musik protestiert hätten. „Von der Demo erwarte ich mehr Freiheit beim Tanzen, denn das ist meine Katharsis“, so eine 18-jährige. „Katharsis“ meint das Sich-Befreien von psychischen Konflikten und inneren Spannungen durch emotionales Abreagieren.
Eine starke Antwort darauf war für mich z.B. die Karfreitagsliturgie. Unser Dom in Würzburg war dicht besetzt, darunter auffallend viele jüngere Menschen, die den über zweistündigen Gottesdienst mitfeierten. Dann las ich den Bericht von der Karfreitagsprozession in Lohr. Trotz Regenwetter säumten viele tausend Menschen den Wegrand – mehr als zuletzt vor Corona. „Es ist ergreifend, wenn die ganze Stadt schweigt“, so lautete die Überschrift. Dann heißt es: „Die Stille der Menschen und die dumpfen Trommelschläge prägen die Karfreitagsprozession in Lohr. Die Atmosphäre verbindet und macht deutlich: Jeder trägt sein Kreuz.“ Das tiefe Schweigen der Menge schaffe Ernst und Innigkeit und verschweiße die Umstehenden auf begrenzte Zeit zu einer tief empfundenen Gemeinschaft, heißt es im Artikel.
Das Leiden Christi werde annähernd greifbar. Zugleich komme ich dem Leiden anderer näher.
In München zogen Christen aus aller Welt beim „Kreuzweg der Völker“ mit einer Prozession durch die Innenstadt und beteten in der Sorge um den Frieden in der Welt. Dabei waren auch viele Christen aus der Ukraine.
Für mich sind die vielen Gottesdienste und Kreuzwege, die nach wie vor am Karfreitag in unserem Land begangen werden eine starke Antwort auf Aussagen wie: „Wir sind an 365 Tage im Jahr freie Menschen und nicht nur an 364!“, wie einer der Veranstalter der „Heidenspaßparty“ verkündete. Der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband beklagt das Tanzverbot und den wirtschaftlichen Schaden für Clubs und Diskotheken, weil gerade der Freitagabend besonders umsatzstark sei. Eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt, besonders liberal zu sein, stimmt in die Forderung ein: „Diese Regelung ist aus der Zeit gefallen und muss endlich abgeschafft werden.“ Es scheint, dass die Bedeutung stiller Tage nicht verstanden wird. Oder will man die Notwendigkeit nicht wahrhaben?
Die Kommentare auf der Homepage der Würzburger Main Post sind geteilt. In einigen Äußerungen ist zu lesen, dass die Schreiber zwar keine praktizierenden Christen seien, aber dennoch für die Kultur eines Volkes und das Miteinander der Menschen auch stille Tage für wichtig und notwendig erachten. „Das Leben ist eben nicht nur Party! Es ist wichtig, Zeiten zum Nachdenken zu haben!“, sagte Psychologe.
Es ist bemerkenswert, dass Heribert Prantl in seinem Kommentar zu Ostern in der aktuellen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Gottvergessen“ über die Krise von Kirche und Gesellschaft schreibt. Er meint, dass es nach wie vor Menschen gibt, die Schutz, Halt, Trost und Freude suchen. „Manche haben Gott vergessen und erinnern sich erst in Krisen an ihn … Und manche haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben; sie haben ihren Sinn für die transzendente Dimension des Lebens verloren.“ Weiter schreibt Prantl: „Aus dem alten Glaubensstolz ist eine neue Glaubensscham geworden. Das ist ein kirchlicher Erdrutsch – und auch ein gesellschaftlicher, denn es wäre ein schrecklicher Verlust, wenn es die Kirchen in Städten und Dörfern nicht mehr gäbe …“ Es wäre nicht gut, „wenn das Befreiende und Tröstende der religiösen Sprache und Rituale verloren geht.“
Ich finde es sehr bemerkenswert, dass in einer liberalen Zeitung wie der SZ über die bleibende Bedeutung des Religiösen und der Kirche zu lesen ist: „Weil es in der digitalisierten Welt eine wachsende Sehnsucht nach einem Geheimnis gibt, das von der künstlichen Intelligenz nicht erspürt und nicht erschaffen werden kann. Es gibt die Sehnsucht nach den Ritualen der Geborgenheit und den Riten der solidarischen Gemeinschaft. Sicherlich kann man Gemeinschaft auch in der Amnesty-Gruppe finden, und Spiritualität kann man auch beim Yoga erleben. Aber dort fehlt das alles durchdringende, transzendente Prinzip, das die Kirchen das Göttliche nennen. Es gibt eine Sehnsucht nach dem Himmel auf Erden. Es gibt eine Sehnsucht nach einem Ort, an dem die Suche nach dem Sinn des Lebens Platz hat und an dem man spürt, dass das Leben ein Weg mit einem Ziel ist, nicht bloß ein Ablauf von Zufälligkeiten. Es gibt die Sehnsucht nach einem Raum, der Zeit und Ewigkeit verbindet und in dem man seine Seele spürt. Wo es gelingt, diese Sehnsucht aufzunehmen, dort wird Religion anziehend und aufregend. Dort sind die Kirchen voll; sie sind dann voll auch in den Zeiten, in denen sie ansonsten immer leerer werden.“
Deshalb sieht Prantl in der Säkularisierung eine Chance. Ebenso sehe ich eine Chance in der Diskussion um die Forderungen nach Abschaffung kirchlicher Feiertage oder der stillen Tage, nämlich durch die Antwort, die wir Christen mit unserer Lebens- und Glaubenspraxis geben.
Dazu nochmals Prantl: „Säkularisierung ist daher die Chance zur Rückbesinnung darauf, was das Christentum ausmacht – nämlich die Macht des Machtverzichts. Dafür steht das Kreuz … Säkularisierung ist … die Chance zur Auferstehung der Kirchen … Säkularisierung ist gut, wenn sie die Kirche schüttelt und aufrüttelt … wenn der Staat gleichwohl die Bedeutung der Kirchen für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft achtet … Zur Säkularisierung gehört aber auch der Respekt der säkularen vor den religiösen Menschen. Daran mangelt es derzeit massiv.“ So kommt Prantl zum Schluss: „Wenn Säkularisierung gesellschaftsverträglich ist, macht sie nicht gleichgültig und verächtlich gegenüber Religion, sondern neugierig auf ihre verschiedenen Formen und Inhalte. Es wäre dies das Ostern der Gesellschaft.“
Wer nur das Hier und Jetzt vor Augen hat, wer getrieben ist von der Sorge, im Leben zu kurz zu kommen und deshalb möglichst alles auskosten will, der hat eine sehr einseitige Sicht des Lebens. Das ist vielfach auch der Grund dafür, dass Solidarität und persönlich praktizierte Unterstützung für Schwache, Gebrechliche und Behinderte vernachlässigt werden. Das führt oft auch dazu, alles auszublenden, was an die Begrenztheit des irdischen Lebens erinnert; ein Grund, warum Beerdigungen und Friedhöfe mehr und mehr gemieden werden.
Der frühere Limburger Bischof Franz Kamphaus sagte einmal: „Frühere Generationen lebten dreißig, vierzig Jahre – plus ewig; heute leben sie nur noch siebzig, achtzig, neunzig Jahre und dann ist Schluss; das ewige Leben ist gestrichen …“ – Genau das hat Jesus verhindert! Er lebte aus dem unendlichen Vertrauen auf Gott bis am Kreuz: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!“
Aus dieser Verbindung heraus wurde er nicht müde, Gott als den Vater des Lebens, der auch das Leben der Menschen will, zu verkünden und durch sein Wirken zu bezeugen. Darum hat er sich den Armen zugewendet, er hat Kranke aufgerichtet, Hoffnungslose ermutigt, Blinden zum Durchblick verholfen, die begrenzte Lebensperspektive auf Gott hin geweitet, und er hat Menschen, die wie gelähmt waren und nicht mehr weiterkamen im Leben, wieder bewegt und auf den Weg gebracht. Taube hat er hellhörig gemacht für die Botschaft Gottes, Geizigen das Herz geöffnet für die Not um sie herum, Traurige getröstet, Aussätzige und Ausgegrenzte zurückgeholt in die Gemeinschaft, schuldig Gewordenen zum neuen Anfang verholfen, Tote lebendig gemacht. Er ist Fremden, Menschen anderer Kulturen, mit Respekt begegnet und hat sie dadurch neugierig gemacht für seine Sicht des Lebens. Er hat Frieden verheißen. Jesus hat die Menschen aus den vielfältigen Gräbern mitten im Leben herausgeholt.
Heidenspaß ist keine Antwort auf die vielen Karfreitagserfahrungen der Geschichte und so vieler persönlicher Lebensgeschichten. Spaß kann man sich machen, Spaß löst aber keine Fragen. Er verdrängt sie und geht über sie hinweg. Trost oder Freude trotz und inmitten all unserer Grenzen und Abgründe können wir uns nicht selbst machen. Wenn es trotz allem Hoffnung und Freude gibt, dann können sie uns nur geschenkt werden.
Was die Frauen am Grab Jesu am Ostermorgen erfahren haben und dann auch seine Jünger, das war kein selbstgemachter Optimismus. Noch viel zu tief saß bei ihnen der Schmerz über das, was sie am Karfreitag erleben mussten. So etwas lässt sich nicht einfach wegwischen oder vergessen. Die Botschaft des Engels, dass Jesus von den Toten auferstanden sei, löst bei den Frauen zunächst auch Furcht und Erschrecken aus. Aber dann wandelt sich ihre Furcht in Freude, als Jesus selbst auf sie zukommt und sie anspricht.
An Ostern erleben die Freunde Jesu unerwartet und überraschend, dass Jesus auf sie zukommt, neu in Beziehung zu ihnen tritt und mit seiner Liebe bei ihnen ist. Sie erfahren: Jesus ist nicht nur aus dem Grab auferstanden und vom Tod, sondern auch in ihre Herzen. Das ist der Grund ihrer österlichen Freude. An Ostern zeigt sich: Hass und Tod, sinnlose Gewalt und Unrecht behalten nicht das letzte Wort. Gott gibt dem Leben und der Liebe das letzte Wort und er öffnet damit einen Ausweg aus den vielen Abgründen und Ausweglosigkeiten dieser Welt.
Osterfreude ist etwas anderes als Heidenspaß. Das Entscheidende ist, dass wir uns vom Auferstandenen beschenken lassen mit seiner Nähe, und dass wir seiner Liebe zu begegnen suchen. Dann kommen wir dem Leben auf die Spur und haben in allem Hoffnung und Freude. Dann wird unsere Haltung, unser Miteinander, unser Einsatz für das Leben in Verbindung mit der Feier unseres Glaubens eine Antwort sein, die die Menschen mit ihren Fragen und Unsicherheiten überzeugt! So ereignet sich das ganze Jahr über Ostern.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Aufstehen – Auferstehen
Auferstehen aus dem Grab,
aufstehen aus der Resignation,
Auferstehen von den Toten,
aufstehen hinein ins Leben.
Auferstehen aus dem Leid,
aufstehen aus Enttäuschungen,
auferstehen aus der Finsternis,
aufstehen in das Licht.
Auferstehen aus dem Verrat,
aufstehen hinein in neues Vertrauen.
Auferstehen aus der Leblosigkeit,
aufstehen zurück ins Leben.
(Autor unbekannt)