Die Predigt im Wortlaut:
„Alles kommt auf den Prüfstand“ – so die Überschrift zu einem Interview mit dem Vorsitzenden des Diözesanrates Michael Wolf, das am vergangenen Montag in der Main Post abgedruckt war. „Alles kommt auf den Prüfstand“!
„In der Diözese Würzburg stehen massive Veränderungen an, um Ausgaben einzusparen,“ sagte der oberste Laienvertreter. Dabei betonte er: „Seelsorge gehört zum Kerngeschäft. Mit ihr Hand in Hand geht das Caritative. Und darüber hinaus gibt es noch das gesellschaftliche Engagement.“ Deshalb gelte es jetzt mit Augenmaß Prioritäten zu setzen. Dabei verweist er auf die Richtung, die Bischof Franz Jung vorgegeben hat, wenn er von „caritativer Pastoral“ und „pastoraler Caritas“ spreche. Pastoral und Caritas „muss wieder zusammengebracht werden“, so die klare Ansage von Dr. Michael Wolf. Dieses Ziel gilt es bei allen jetzt anzustellenden Überlegungen im Auge zu halten und die entsprechenden Dienste deutlich mit den vorhandenen Ressourcen zu ermöglichen. Für mich bedeutet diese Ansage, dass es um die Dienste am Menschen und weniger um die Verwaltung dieser geht.
Daneben betont der Diözesanratsvorsitzende, dass es künftig noch mehr als bislang auf die Mitwirkung und Mitverantwortung von sogenannten Laien, also von Frauen, Männern und Jugendlichen ankommt, die nicht auf der Gehaltsliste der Diözese stehen. Damit diese ihre Kompetenz und ihr Engagement einbringen und zur Wirkung bringen können, müssen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es gilt diesen Menschen Vertrauen entgegenzubringen und sie nicht nur zu überkontrollierten Ausführungsstatisten zu degradieren.
Schließlich stellt Dr. Wolf im erwähnten Interview sehr deutlich die Frage: „Was stellen wir der Gesellschaft zur Verfügung? Wo wirken wir in die Gesellschaft hinein?“ Bei allem, was wir für die Menschen tun, sollte deutlich werden, was unser Menschenbild ausmacht. Ich möchte es mit meinen Worten ergänzen: Wir haben eine Sendung, einen Auftrag von Jesus, im Geiste der Frohen Botschaft den Menschen zum Leben zu verhelfen. Durch unseren Dienst kommen die Menschen in Berührung mit Gott.
Kirche ist also nicht für sich selber da, es geht nicht um Organisation, Strukturen, Verwaltung usw. sondern darum, die Botschaft von Gott in der Welt präsent zu halten und diese durch unser Tun zu bezeugen – im Gottesdienst und im Dienst am Nächsten! Dieser Auftrag ist wichtig und not – wendig in einer Welt, in der viele sich nur um sich selbst drehen, in der die Solidarität untereinander immer mehr nachlässt, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, in der im Vergleich zu vielen Ländern dieser Welt bei uns auf sehr hohem Niveau gejammert wird; er ist notwendig in einer Welt, in der die Verantwortung für Gottes gute Schöpfung zwar mit Worten, aber zu wenig mit Taten wahrgenommen wird, in der menschliches Lebens zunehmend in die Verfügungsgewalt des Menschen gerät, der sich zum Herrn über Leben und Tod macht, insbesondere am Anfang und am Ende.
Dieser Auftrag, die Botschaft Gottes in der Welt zu bezeugen, ist wichtig und not – wendig in einer Welt, in der Hoffnung und Zuversicht vor allem von materiellem Wohlstand abhängig gemacht wird und immer weniger vom Vertrauen in Gott und die Zukunft, die er uns schenkt.
Zugleich erleben wir, dass immer mehr – gerade junge Menschen – nach neuen Wegen für ihr Leben suchen. Sie sind des Konsums, sie sind des weit verbreiteten teilweise sinnlosen Spaßes und Funs überdrüssig. Sie sind die inhaltsleere Dauerberieselung auf allen Kanälen rund um die Uhr leid. Doch sie suchen die Orientierung, eine bessere Wegweisung nicht in unseren Kirchen und christlichen Gemeinden. Der Mitgliederschwund der großen christlichen Kirchen ist aber nicht allein dem Zeitgeist geschuldet, sondern auch der Art, wie Kirche nicht nur im Großen erlebt wird!
Deshalb möchte ich auf eine Umfrage unter namhaften Theologen verweisen. Diese beschäftigte sich vor einiger Zeit mit der Frage, warum eine kleine Gruppe von Gläubigen vor rund zweitausend Jahren innerhalb von drei Jahrhunderten zur weltumspannenden Religion werden konnte – und das ohne Waffen und trotz Verfolgung und Spott durch die Eliten.
Die übereinstimmende Erklärung der Theologen lautete: Die Christen blieben nicht unter sich, sondern machten sich auf den Weg, knüpften enge soziale Netze. Dabei haben sie alle gesellschaftlichen Schichten angesprochen, haben soziale Schranken überwunden und vielen Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen einen Sinn für ihr Leben eröffnet. Daraus ergaben sich zahlreiche weitere Auswirkungen der Frohen Botschaft Jesu wie Mildtätigkeit, Barmherzigkeit, Mitleid und die Hoffnung auf Auferstehung. Die frühen Christen verbanden Glaubenspraxis und soziales Handeln. Sie sorgten für Arme, Alte und Kranke, kümmerten sich um würdige Bestattungen.
Damit komme ich zum heutigen Evangelium: Da wird von einer heidnischen Frau berichtet, die in der Sorge um ihre Tochter, die von einem Dämon gequält wird, zu Jesus kommt. Eine äußerst interessante Stelle im Matthäusevangelium, denn der Evangelist gibt damit seiner Gemeinde einen für alle Zeiten wichtigen Hinweis. Die Frau lässt nicht locker. Und letztlich lernt sogar der Jude Jesus von einer heidnischen Frau, mit neuen Augen auf seinen Auftrag zu schauen, nämlich allen Menschen das Heil Gottes zu bringen.
Vielleicht erinnern Sie sich: Beim großen Requiem für Barbara Stamm hier in unserem St. Kiliansdom hatte Bischof Franz genau diese Stelle als Evangelium ausgewählt und zusammenfassend gedeutet: „Die Grenzen des Heils sind verschiebbar!“ Es muss nicht alles so bleiben wie immer. Um Menschen zu helfen, gilt es auch die eigenen Begrenzungen zu überwinden. Auf den Gedanken dieser Predigt heute hin bedeutet das: Christen, Kirche dürfen nicht unter sich bleiben, dürfen nicht nur den binnenkirchlichen Raum neu organisieren wollen, sondern müssen die Wege zu den Menschen suchen, um so den Menschen den Weg zum Leben mit Gott zu ebnen. Und nirgends sind wir den Menschen näher, als wenn wir uns um ihre Nöte, Sorgen, Hilfsbedarfe kümmern.
Deshalb ist es das heutige Evangelium sehr bemerkenswert: Es kommt gar nicht zum direkten Kontakt zwischen Jesus und der kranken Tochter, aber die Mutter macht sich deren Leid so sehr zu eigen, dass sie zur Sympathisantin – wörtlich übersetzt – zur Mitleidenden wird. Die Jünger erschrecken – nicht wegen des Leids der Tochter, sondern wegen der Beharrlichkeit der Mutter.
Es gibt viele Suchende, Fragende und es gibt Nichtchristen, die sich für den Glauben der Christen und das Leben der Christen ernsthaft interessieren. Wie oft aber werden sie enttäuscht, weil ihnen eine kluge Beratung und eine einfühlsame Begleitung fehlen, weil nicht wenige ausgedörrte christliche Gemeinden ihre geistliche Kompetenz eingebüßt haben. Wie oft erscheint solchen Menschen unser Glaubensweg zu umständlich, zu unergiebig oder einfach zu weit weg von den Leben. Dass Glauben ein Prozess ist, ein lebenslanger Lernprozess, diese Einsicht ist vielfach verblasst. Gerade Papst Franziskus mahnt uns zur Geduld mit den Suchenden.
Dieser Prozess wurde an der Frau deutlich, die sich nicht abbringen lässt, und an Jesus, der sich auf die Auseinandersetzung mit der heidnischen Frau einlässt, so dass er letztlich – wie unser Bischof bei seiner Predigt zu Barbara Stamm sagte – sogar von der Frau lernte. Und schließlich wurde er auch an der Gemeinde des Matthäus deutlich, die daraus gelernt hat, dass Gott der ganzen Welt sein Heil schenken will.
Christwerden, Christbleiben ist eine herausfordernde Lerngeschichte, eine Beziehungsgeschichte mit Gott und seinem Sohn, unserem Bruder, Jesus. In der persönlichen Begegnung mit Jesus liegt unser Heil, das Heil der Menschen. Es geht darum, die persönliche Begegnung mit Jesus zu suchen, auch durch Schwierigkeiten und Hindernisse hindurch.
Der Glaube der Frau, der wir im Evangelium begegnet sind, war so groß, dass ihre Tochter geheilt wurde. Unsere Aufgabe als Christen, als Kirche ist es deshalb, selbst auf der Suche nach Jesus zu bleiben und wo immer wir leben, dafür zu sorgen, dass die Menschen – Kinder, Jugendliche, Erwachsene, suchende, fragende Menschen – mit Jesus und dem Heil, das von ihm ausgeht in Berührung kommen in seinem Wort, in den Sakramenten und in unserem Glaubenszeugnis und dass sie so zu einem besseren, zu einem heilvollen Leben finden.
Weil wir als Kirche in der Diözese Würzburg derzeit dabei sind, uns auf unsere Sendung, auf unseren Auftrag von der Frohen Botschaft Jesu her zu besinnen, deswegen muss – wie der Diözesanratsvorsitzende sagte – „alles auf den Prüfstand“. Es bleibt zu hoffen, dass dann allen, die an den erforderlichen Entscheidungen mitwirken, klar wird, was unsere Sendung ist. Es muss klar sein, dass unser Auftrag weit über den eigenen Kirchturm hinaus zu allen Menschen führt, die auf der Suche sind, die in Not sind, die Hilfe brauchen. Wo die Menschen spüren, dass wir uns um sie annehmen mit ihren konkreten Nöten, wenn sie merken, dass wir uns um sie sorgen, dann kommen sie durch uns mit Gott in Berührung. „Pastorale Caritas“ und „caritative Pastoral“ – unser Bischof hat den Weg vorgegeben, der Diözesanratsvorsitzende hat die Herausforderung benannt. Jetzt kommt es darauf an, wie das umgesetzt wird, und ob am Ende die Menschen in unserer Zeit wie die heidnische Frau damals wissen: Von Jesus kommt Hilfe, durch IHN haben wir, hat die Welt Zukunft!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Wo bist du, Herr?
Da, wo Menschen sich helfen
da, wo Menschen miteinander teilen
da, wo Menschen füreinander da sind
da, wo Armut und Ungerechtigkeit überwunden werden
da, wo Menschen an dich glauben
da, wo Menschen dich erkennen
da bist du mitten unter ihnen
an ganz anderen Orten als gedacht und erwartet.
(Autor unbekannt)