Die Predigt im Wortlaut:
„Es gibt diesen Ort …“ so hörte ich an diesem Freitag morgens im Radio. Ich stand im Bad. Wie immer lief nebenbei das Radio. Plötzlich wurde ich hellhörig, als eine sonore Stimme sagte:
- „Es gibt diesen Ort – an dem von Herzen gelacht wird.“
- „Es gibt diesen Ort – an dem Sie Ihre Emotionen frei rauslassen können.“
- „Es ist DIESER Ort, an dem sich Menschen begegnen und an dem rund um die Uhr immer jemand da ist.“
- „Es ist dieses gute Gefühl, dieser vertraute Klang, der Sie alle dort erwartet. Und es ist der Ort an dem Sie immer von ganzem Herzen willkommen sind.“
- „Wo dieser Ort ist?“
PAUSE
– Mein spontaner Gedanke war: Ist das etwas Pastorales oder Soziales? Macht da irgendeine religiöse Gruppe auf sich aufmerksam? Aber da kam schon die Antwort auf die zuvor in den Raum gestellte Frage: „Wo dieser Ort ist?“
Die Antwort lautete:
„In Ihrem Radio!“ - „Und damit wir diesen Ort auch weiterhin so toll gestalten können, dass Sie sich wohl fühlen, nehmen Sie sich bitte ein paar Minuten Zeit, wenn Marktforscher Sie in diesen Tagen anrufen und fragen, wann und wo Sie Radio hören. – Herzlichen Dank!“
Es gibt diesen Ort, an dem von Herzen gelacht wird, an dem ich einfach ich sein darf, an dem ich Menschen zu jeder Zeit begegnen kann, an dem ich von ganzem Herzen willkommen bin!
Bei einer Veranstaltung in der Katholischen Akademie in München vor zwei Wochen prägte der Politologe Werner Weidenfeld in einem Diskussionsbeitrag das Wort von Deutschland als einem „Land in Orientierungsnot“. Seine Mahnung war, dass es in dem – wie er es nannte – derzeitigen „Deutungsuniversum“ für die Menschen verlässliche Orientierung brauche. Dabei erinnerte er an ein Buch von Wolfgang Huber.
Der frühere Vorsitzende des Rates der EKD, der damalige Berliner Bischof Wolfgang Huber, schrieb im Jahr 1999 in seinem Buch „Kirche in der Zeitwende. Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerung der Kirche“: „Das christliche Konzept der Freiheit aus Glauben verfügt in der pluralistischen Gesellschaft nicht mehr über ein Sinnstiftungsmonopol, hat aber weiterhin einen wichtigen Beitrag zu der Frage zu leisten, wie menschliche Freiheit in einer Zeit hoher gesellschaftlicher Komplexität verstanden, verantwortet und gelebt werden kann.“ Dazu benannte Bischof Huber auch die Aufgabe der Kirche u.a. mit der Aussage: „Die Kirchen sind herausgefordert, den Menschen persönliche Gewissheit zu vermitteln und sich an der Suche nach einem neuen gesellschaftlichen Leitbild zu beteiligen. Das christliche Glaubensangebot ist dabei neu verständlich zu machen.“ Dieses Wort ist gerade heute von bleibender Aktualität!
Und was tun wir als Kirche? Bewusst nehme ich nur unsere Kirche in Blick und will nichts zu den eher politischen Aktionen der anderen großen christlichen Kirche in unserem Land sagen.
Also, was tun wir als Kirche? An diesem Freitag und Samstag konstituierte sich in Essen der neu geschaffene Synodalausschuss. Es wurden Satzung und Geschäftsordnung beschlossen und damit, wie es in der Pressemeldung hieß, „die ersten Pflöcke eingeschlagen.“
Der Synodale Ausschuss wird die „Schlüsselthemen“ Amt, Macht, damit insbesondere Strukturen, sowie die Rolle der Frauen, Sexualmoral und priesterliche Lebensform bearbeiten.
Ähnlich wie in Essen für die Kirche in Deutschland insgesamt, gibt es auch bei uns für den Bereich unserer Diözese mehrere Gremien, um die Vision für die Kirche der Zukunft und ihre Strukturen und dazu die Strategien zu diskutieren.
Ein namhafter Bundespolitiker hat sich gestern in einem Interview zur Wahrnehmung der Kirche in unserer Gesellschaft und zu christlichen Werten in der Politik geäußert. Dabei bemängelte er die kirchliche Selbstbeschäftigung und ihre verringerte Wirksamkeit in öffentlichen Debatten. Er verwies auf einige aktuelle Themen, bei denen er sich wünschen würde, dass die Kirche sich aktiv und in der Öffentlichkeit wahrnehmbar einbringen sollte wie z.B. Lebensschutz, Familie, christliches Menschenbild, Grundwerte im Zusammenleben der Gesellschaft, Integration von Menschen mit anderer kultureller und religiöser Prägung usw. Wir könnten diese Auflistung mit aktuellen Themen fortsetzen wie z.B. die zunehmende Gewaltbereitschaft, Aggression im Umgang der Menschen untereinander, Krieg, Frieden, Fremdenfeindlichkeit, soziale Ungleichheit, Solidarität, und das immer größere Problem der Einsamkeit usw.
Im Blick auf seine eigene politische Arbeit sagte der zitierte Politiker: „Ohne Gottvertrauen, auch in der politischen Arbeit, wäre mein Leben ärmer. Es tut mir gut, zu wissen, dass all mein Bemühen, aber auch Scheitern und Schuld, aufgehoben sind in der Gnade unseres Gottes.“ Zugleich betonte er, dass die Menschenfreundlichkeit Gottes nur der glaubwürdig bezeugen könne, wer für eine menschlichere Welt arbeite.
Bischof Huber sagte 1999: „Die Kirchen sind herausgefordert, den Menschen persönliche Gewissheit zu vermitteln und sich an der Suche nach einem neuen gesellschaftlichen Leitbild zu beteiligen. Das christliche Glaubensangebot ist dabei neu verständlich zu machen.“
Für mich sehr interessant ist, dass die Geschichte Ihrer Pfarrei, deren vergleichsweise junges Jubiläum wir heute feiern, ihre Wurzeln in der Seelsorge der Zisterzienser der Abtei Ebrach hat. Am vergangenen Sonntag habe ich das Kirchweihfest in der Zisterzienserabtei Stift Stams im Inntal in Tirol mitgefeiert. Durch die freundschaftliche Verbindung zu den Zisterziensern weiß ich, dass die Mönche oftmals brach liegende Ländereien sowie große Sumpf- und Waldgebiete urbar gemacht haben. Daneben unterhielten sie Handelszentren für landwirtschaftliche und handwerkliche Produkte. Das Herz der Klöster war immer die Klosterkirche. Viele Klöster hatten dazu Spitäler und Herbergen, also soziale Einrichtungen. Die Klöster erwiesen sich so als Biotope, wo sich Leben entfalten konnte.
Genau deshalb sind für mich christliche Gemeinden, Pfarreien, im Lebensraum der Menschen so wichtig: Es braucht Orte, an dem von Herzen gelacht wird, an dem ich einfach ich sein darf, an dem ich Menschen zu jeder Zeit begegnen kann, an dem ich von ganzem Herzen willkommen bin!
Vor einigen Tagen kommentierte die F.A.Z.: „… für die Kirchen (muss es) darum gehen, vor Ort präsent zu bleiben, den Kontakt zu den Mitgliedern zu pflegen und sich über diese Nähe allmählich wieder Vertrauen zu erarbeiten.“ Doch in unseren Gremien werden langatmige Papiere verfasst, die dann Grundlage sein sollen, um als Kirche im Geist Jesu in der Welt zu wirken.
Das Evangelium, das uns heute verkündet wurde, greift sehr anschaulich die Not vieler Menschen in unserer Zeit auf, macht aber auch die Antwort Jesu deutlich:
Zachäus, ein offenbar wohlhabender Mensch ist dennoch in seinem innersten unzufrieden. Er hält Ausschau und ist neugierig, was von diesem Jesus und seiner Botschaft ausgeht. Jesus nimmt ihn wahr, aber nicht im Stil einer „komm her Kirche“, sondern er praktiziert „geh hin Kirche“. Er geht auf Zachäus zu und nimmt sich Zeit für ihn. Durch diese Zuwendung eröffnet sich für Zachäus ein neuer, bislang ungeahnter Weg für sein Leben.
Vor allen theoretischen Diskussionen um die Zukunft der Kirche gilt es zunächst, einfach bei den Menschen zu sein und ihr Leben zu teilen. In vielen Situationen ist es einfach so, wenn wir uns nicht um die Menschen annehmen, tut es niemand. Die Menschen bleiben dann sich selbst überlassen. Deshalb muss die Aussage „Wir können nicht alles machen!“ sehr nachdenklich stimmen. Es geht um die Menschen und unsere Sendung!
Es stimmt deshalb nachdenklich, dass die immer kleiner werdende Kirche einen immer größer werdenden Verwaltungsapparat organisiert. Es braucht Frauen und Männer, berufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und noch mehr Ehrenamtliche, die nahe bei den Menschen sind. Durch unser Interesse an den Menschen und ihrem Leben, durch die Nähe und den konkreten, zupackenden, hilfreichen Dienst am Nächsten wird deutlich, dass wir die Menschen und ihre Nöte im Blick haben. Daran werden wir gemessen bei der Frage, ob unsere Glaubensbotschaft und unsere Gottesdienste dem Auftrag Jesu entsprechen.
In diesem Sinne sagte Papst Franziskus, dass der Friede, den Jesus schenke, etwas anderes sei als das, was man gemeinhin unter Frieden versteht. Es sei ein Frieden, „der einen in Bewegung setzt und nicht isoliert“. Der Friede des Herrn bringe einen dazu, „zu den anderen zu gehen, Gemeinschaft zu schaffen, Kommunikation aufzubauen“.
Ob die Menschen um uns und die Generationen nach uns noch Mut, Zuversicht und Kraft für ihr Leben aus der Lebensbotschaft Jesu schöpfen und die entscheidend wichtige Grundlage für ihr Leben finden, das hängt davon ab, ob sie durch uns davon erfahren.
Dann gelingt, was Bischof Huber an der Wende zum 21. Jahrhundert als Aufgabe der Kirche beschrieb: „… den Menschen persönliche Gewissheit zu vermitteln und sich an der Suche nach einem neuen gesellschaftlichen Leitbild zu beteiligen.“
Ich habe eingangs die Selbstwerbung des Bayerischen Rundfunks zitiert: Es gibt diesen Ort, an dem von Herzen gelacht wird, an dem ich einfach ich sein darf, an dem ich Menschen zu jeder Zeit begegnen kann, an dem ich von ganzem Herzen willkommen bin!
Ich möchte schließen mit einem Gedicht von Lothar Zenetti, dem inzwischen verstorbenen langjährigen Frankfurter Pfarrer. In seinem Gedicht heißt es:
Dass so viele Leute
in unserer Zeit
in unseren Breiten
der Kirche den Rücken kehren
ist sicherlich
kein
Wunder.
Aber ist es nicht
ein Wunder,
dass so viele
trotz allem
fest in der Gemeinschaft der Glaubenden
stehen?
Dass so viele jammern
und keine Perspektive mehr sehen,
ist leider
kein
Wunder.
Aber ist es nicht
ein Wunder,
dass es Menschen gibt,
die den Raum ihres Zeltes weit machen
und wildfremden Menschen
Hoffnung schenken?
Von Herzen wünsche ich Ihnen, dass Sie der jahrhundertelangen Geschichte einer christlichen Pfarrei an diesem Ort treu bleiben und dafür sorgen, dass Ihre Gemeinde ein Biotop bleibt, an dem von Herzen gelacht wird, an dem Menschen einfach Mensch sein dürfen, an dem sie sich zu jeder Zeit begegnen können, an dem Menschen aus allen sozialen Schichten von ganzem Herzen willkommen sind und an dem sie Vertrauen, Zuversicht und Mut schöpfen können und ein lebenswertes menschliches Miteinander gestalten und dafür aus ganzem Herzen Gott danken und loben! Pfarreien – wie Ihre – sind heute notwendig und deshalb unverzichtbar!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
12.11.2023, 10.15 Uhr
Die 85. Auflage unseres Live-Streams des Gottesdienstes
aus der Kirche St. Sebastian Unterspiesheim.
70 Jahre Pfarrei St. Sebastian
https://www.youtube.com/watch?v=YnPHHhW-CaY
Zelebranten:
Domkapitular Clemens Bieber
Pfarrer Thomas Amrehn
Diakon Günter Schöneich
Wir freuen uns über Spenden zur Aufrechterhaltung der Streams.
Spenden sind per Überweisung möglich:
Kath. Kirchenstiftung Unterspiesheim
IBAN: DE59 7936 2081 0001 8127 69
BIC: GENODEF1GZH
Stichwort: STREAM
Spendenquittungen werden erstellt!
Sie können auch ganz bequem über diesen PayPal Link direkt an die Kirchenstiftung spenden:
https://www.paypal.com/cgi-bin/webscr...
Vergelt ́s Gott für Ihren finanziellen Beitrag,
Ihr Thomas Amrehn