Die Predigt im Wortlaut:
„Tag der Herzlichkeit“ - Ein betagtes Ehepaar rief mich am vergangenen Sonntag an. Sie, 87 Jahre, betreut seit 25 Jahren ihren nur wenig älteren Ehemann, der durch einen Schlaganfall sehr stark eingeschränkt ist. Nun braucht sie dringend eine neue Hüfte, um die Schmerzen loszuwerden, aber auch, um weiterhin ihren Mann zu betreuen. Die Reaktion bei der Bitte um einen Untersuchungs- und dann auch zeitnahen OP-Termin war: „Frühestens im Herbst!“ Mit Hilfe einer in der Politik vernetzten Persönlichkeit, der ich die Situation schilderte, war am nächsten Tag, also am Montagnachmittag, klar: Die Frau kann in wenigen Tagen zur Untersuchung kommen und der OP-Termin wurde vorab auch schon festgelegt!
Welch ein Segen, dass das Herz der politisch engagierten Persönlichkeit hellhörig war, um die Not wahrzunehmen und dann aktiv zu werden. Und so tat sich ein weiteres Herz auf, das des Arztes, der an seiner Anmeldung vorbei spürte, dass er nicht der politischen Funktion, sondern einem betagten Ehepaar einen großen Dienst erweist und deren Lebensqualität stärkt.
Eine Tradition aus Tirol kommt nach Unterfranken
In der Diözese Innsbruck in Tirol wird seit Jahren am „Herz-Jesu-Fest“ der Tag der Herzlichkeit begangen. Um den Tag herum gibt es eine Vielzahl von Impulsveranstaltungen im ganzen Land. Dazu werden über die Pfarreien Karten mit Anregungen verteilt: „Herzlich in Tirol: Freitag, 16. Juni 2023 – Machen Sie mit! 24 Stunden Zeit für eine Geste der Aufmerksamkeit.
- Tun Sie sich und anderen etwas Gutes, zeigen Sie Herz. Ein Lächeln, ein freundlicher Blick, ein gutes Wort oder eine helfende Hand können Wunder wirken.
- Bringen Sie Menschen zusammen, ermöglichen Sie Begegnungen und Gespräche. Das hilft Vorurteile ab- und Verständnis füreinander aufzubauen.
- Starten Sie eine kleine Benefizaktion, unterstützen Sie ein sozial-karitatives Projekt ihrer Wahl oder helfen Sie uns helfen! Das stärkt das ‚Wir-Gefühl‘.
- Posten Sie eine Grußbotschaft. Gesten der Verbundenheit fördern das Miteinander.“
Damit erweist sich Caritas neben den eigenen Angeboten und Diensten für die Menschen aller Generationen und aller sozialer Schichten in den unterschiedlichsten Lebenslagen – von der Schwangerenberatung bis zur Sterbe- und Trauerbegleitung – als Solidaritätsstifterin in unserer Gesellschaft. In einer Gesellschaft, in der mit der Not der Menschen zunehmend mehr Geschäfte gemacht werden, in der immer weniger die Frage gestellt wird „Wie kann ich dir helfen?“, sondern „Was kann ich an dir verdienen?“, in dieser Gesellschaft braucht es Impulse zum Miteinander und damit zu mehr Menschlichkeit.
Die Zeit krankt an einer Angina Pectoris
Die erschreckende Meldung dieser Tage von über 60.000 politisch motivierten Straftaten im vergangenen Jahr in unserem Land – sowohl gegen Menschen mit Migrationshintergrund aber auch gegen Menschen, die in ihrer Lebensweise nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen – machen deutlich, dass zunehmend mehr Zeitgenossen nicht mehr in der Lage sind, auch Unterschiede, Rücksichtnahmen, Verantwortung füreinander auszuhalten. Dieses war ebenso in der Coronaphase mit ihren erforderlichen Einschränkungen zu spüren. Manche schnell organisierten Bürgerinitiativen – ob gegen den Bau eines Kindergartens, einer Senioreneinrichtung, einer Unterkunft für Menschen mit Fluchterfahrung – wirken laut, hektisch, atemraubend, aggressiv. Hier passt der Vergleich einer Angina Pectoris, einer Herzkranzverengung. Weil das Herz sich nicht öffnen kann, fehlt der Atem, passieren Schweißausbrüche, kommt Panik auf.
„Der Tag der Herzlichkeit“ wird – ich habe auf die Tradition in Tirol verwiesen – am Fest des Herzens Jesu begangen. Die Botschaft dieses Glaubensfestes lenkt unseren Blick auf Jesus, der sich den Menschen zugewandt, der ihnen beigestanden, der ihnen auf- und weitergeholfen hat. In diesem Sinne war Jesus „Dienstleister, Anwalt, Solidaritätsstifter“.
Angesichts der vielfältigen Nöte der Menschen braucht es nicht ein Mehr an bürokratisch organisiertem Versorgungsstaat. Notwendig ist vielmehr persönliche Zuwendung von Herz zu Herz. Darauf hebt der Verfasser des ersten Johannesbriefes ab in seinem Schreiben um die erste Jahrhundertwende an einige christliche Gemeinden. Er betont damit die Gemeinschaft mit Gott durch das Halten des Gebotes der Liebe. Damit macht er zugleich deutlich, dass die praktizierte Nächstenliebe das entscheidende Kriterium für die Glaubwürdigkeit der christlichen Lebensbotschaft ist.
Das Gute kommt oft leise daher
Der Anstoß zum „Tag der Herzlichkeit“ geht auf den früheren Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher zurück. Er schrieb: „Es gibt in allen Epochen Bestürzendes und Großartiges, Degeneration und Neuanfang. Wenn ich in unserer Welt Initiativen aufbrechen sehe, die sich um Helfen und Lindern, Heilen und Fördern bemühen, dann fällt es mir immer wieder leichter, trotz allem Dunkel daran zu glauben, dass hinter allem eine unbegreifliche, gewaltige Liebe steht, die alles umfängt und die einmal siegen wird. Das Gute spielt in der Welt seinen Part meist piano oder pianissimo. Es gehört zur Lebenskunst, es nicht zu überhören.“
Damit liefert er zugleich eine Aktualisierung des heute verkündeten Evangeliums, denn die Lauten, die Ideologen, die Politstrategen, die Fanatiker überhören die Botschaft, die uns ermutigt in Liebe miteinander umzugehen, in Liebe uns auch gegenseitig immer wieder die geschwisterlich, wohlwollenden Korrekturen zu geben und uns so gegenseitig zu helfen, den Weg Jesu und seiner Frohen Botschaft zu finden und zu gehen. Dieser Weg eröffnet uns eine wertvolle, menschliche, friedliche und damit hoffnungsvolle Zukunft eröffnet. Es braucht ein aufmerksames Herz, die Botschaft Jesu zu verstehen, aber auch, um sie umzusetzen durch unseren Einsatz.
Caritas heißt: Herz haben – Herz zeigen
Als „Dienstleister, Anwalt, Solidaritätsstifter“ helfen wir nicht nur einzelnen Menschen in einer konkreten Not, sondern wir wirken dadurch mit, das Miteinander in unserer Gesellschaft zu prägen. Diese Aufgabe beginnt in der Begleitung werdender Eltern, in den Angeboten für schon kleine Kinder und reicht bis hin zur Zuwendung an alten, gebrechlichen und sterbenden Menschen. „Herz haben, Herz zeigen!“ Unter diesem Leitwort steht der „Tag der Herzlichkeit“ heute in Tirol – und hoffentlich auch bei uns. „Herz haben, Herz zeigen!“
Reinhold Stecher schrieb dazu: „Für das Glück der Menschheit ist es wichtiger Menschen mit Herz und der Fähigkeit zur Empathie, zur Einfühlung, zu erziehen, als nur auf rasanten technischen Fortschritt setzen.“
Mich hat der Gedanke vom „Tag der Herzlichkeit“ fasziniert. Es ist zwar nur ein Tag im Jahr, aber über die Jahre hinweg könnten daraus viele Tage der Herzlichkeit erwachsen, die dazu beitragen das Leben der Menschen und ihr Miteinander froher und hoffnungsvoller werden zulassen. Das aber beginnt im eigenen Herzen. Dazu will ich noch ein drittes Mal Reinhold Stecher zitieren: „Es gibt sie, die Menschen mit Glaubensfreude, geistlicher Initiative, einem Schuss Hausverstand, der Fähigkeit zu motivieren und zu begeistern, einer gesunden Belastbarkeit und einem Anflug von franziskanischer Fröhlichkeit.“
Liebe berufliche und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas,
iebe berufliche und ehrenamtliche Verantwortlichen in unseren subsidiären Strukturen,
liebe Freunde und Unterstützer unserer Bemühungen,
wir begehen den „Tag der Herzlichkeit“ heute noch nicht in der ganzen Diözese, sondern zunächst „nur“ in unserm Caritashaus hier in der Franziskanergasse. Aber wenn der Impuls dieses Tages wirkt und Früchte trägt, dann spüren die Menschen, die bei uns vorbeikommen oder unsere Dienste in Anspruch nehmen oder einfach anrufen, wie das betagte Ehepaar, von dem ich eingangs erzählt habe, was der hl. Augustinus im 4./5. Jahrhundert an einen Freund schrieb: „Porta patet, magis cor” – Das Tor, die Tür steht offen, mehr noch das Herz!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Zur Besinnung nach der Kommunion
Ein Herz, das ...
… für dich schlägt,
mit dir fühlt,
zu dir hält,
nach dir fragt,
bei dir wacht,
mit dir lacht
und weint.
Ein Herz, das ...
… für dich sorgt,
mit dir teilt,
an dich glaubt,
auf dich hofft,
an dir hängt,
für dich betet
und bei dir bleibt.
Ein Herz, das ...
… auf dich hört,
nach dir schaut,
auf dich baut,
zu dir spricht,
mit dir schweigt,
sich dir neigt,
an dich denkt,
und sich schenkt.
Ein Herz, das ...
… ist das größte Glück
auf Erden, wie zu lieben
und geliebt zu werden.
(Paul Weismantel)