Rund 1200 geladene Gäste drängten sich am Abend des 15. Januar im Zentralen Hörsaal- und Seminargebäude der Julius-Maximilians-Universität am Würzburger Hubland. Hierhin hatten Bischof Dr. Franz Jung, die Domschule und der Diözesan-Caritasverband (DiCV) zum Neujahrsempfang der Diözese Würzburg geladen. Mit Domkapitular Clemens Bieber, Vorsitzender des DiCV, und Generalvikar Dr. Jürgen Vorndran hieß der Bischof am Eingang persönlich Vertreter von Kirche, Politik und Wirtschaft sowie Menschen, die sich in Kirche und Gesellschaft engagieren, herzlich willkommen. Später begrüßte er zudem ausdrücklich die via Livestream und TV Mainfranken live zugeschalteten Zuschauer.
„Angesicht einer Welt in Aufruhr suchen wir alle Halt und Orientierung“, leitete Bischof Jung zum Vortrag des diesjährigen Gastredners über. Professor Herfried Münkler hat von 1992 bis 2018 Politikwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin gelehrt und vor wenigen Monaten das Buch „Welt in Aufruhr“ veröffentlicht. „Als Hochschulprofessor bin ich es eigentlich gewohnt, in Hörsälen zu sprechen. Wenn diese aber so groß und so voll besetzt sind, ist das noch einmal etwas anderes“, sagte Münkler erfreut angesichts des großen Interesses an seinem Vortrag beim Diözesanempfang.
„Worst Cases“ bestimmen Weltgeschehen
„Wenn wir heute von Aufruhr sprechen, ist das eine lange Aneinanderreihung von vielen ‚Worst Cases‘“, also schlimmstmöglicher Fälle, stellte Münkler zu Beginn seiner Ausführungen fest. Zu denken sei dabei in jüngerer Vergangenheit unter anderem an den Brexit, die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, die Migrationsbewegungen, die die EU schlichtweg überfordert hätten, die vielen Krisen und Kriege oder die Corona-Pandemie. All das zeige die Verwundbarkeit der Welt und der bisher bestehenden westlich geprägten Ordnung. Nach so vielen negativen Erfahrung würden die Menschen endlich wieder „Best Cases“ erwarten, so der Politikwissenschaftler. „Doch dass Positives eintritt, wird so schnell nicht mehr der Fall sein“, behauptete Münkler. Die Weltordnung sei dabei sich zu verändern.
Eine Ordnung brauche einen „Hüter“, sagte Münkler mit Blick in die Geschichte. Diese Rolle hätten in den vergangenen Jahrzehnten die USA wahrgenommen, seien dazu aber nicht länger bereit beziehungsweise in der Lage. Denn ein Hüter müsse immer auch viel investieren. Die Frage laute nun: „Wer ist bereit und fähig, einen solchen Hüter in der Welt zu geben?“. Die Antwort gab Münkler umgehend selbst: „Ich bin mir sicher, dass wir zu unseren Lebzeiten niemanden mehr finden, der diese Hüterrolle einnehmen kann.“
„Die Ordnung, auf die wir bisher in der Welt gesetzt haben, ist nicht mehr herstellbar. Die Ordnung ist am Ende“, machte der Professor seine Sicht klar. Darin liege auch eine Erklärung für das derzeitige „Stühlerücken“ in der Welt: den Abzug der Amerikaner und ihrer Verbündeten aus Afghanistan, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine oder den Terrorangriff der Hamas auf Israel. Eine künftige Ordnung brauche mehrere Hüter, die die Aufgabe gemeinsam wahrnähmen, so der Politikwissenschaftler. Die verschiedenen Weltmächte hält Münkler dabei für unvereinbar. Wer sich am Ende durchsetze, ob totalitäre Staaten wie Russland oder China oder demokratische Vertreter wie die USA oder die Europäische Union oder auch Mächte des globalen Südens wie etwa Indien, sei völlig offen. Klar sei jedoch: Die EU müsse sich anstrengen, um bei er Etablierung einer neuen Ordnung weiterhin entscheidend mitzuspielen.
Und jeder Einzelne? „Ein solcher Umbruch nimmt uns sehr in Anspruch“, sagte Münkler. Und kam dann nach der Aufzählung vieler „Worst Cases“ schnell zum sehr offenen Ende seines Vortrags: Den Glauben daran, dass es trotzdem weitergehe, nenne man „Zuversicht“, zumal zu Beginn eines neuen Jahres. „Für Zuversicht muss man arbeiten. Packen wir’s an!“, so Münkler abschließend.
Dank, Einordnung und Gespräche
Die Zuhörerinnen und Zuhörer honorierten Münklers Ausführungen mit langanhaltendem Applaus. Bischof Jung sagte: „Herzlichen Dank für den Blick in die Glaskugel.“ Als Quintessenz aus dem Vortrag nehme er Folgendes mit: Die Frage nach dem wahren „Hüter“, der Verantwortung der EU und der Zuversicht. Laut dem Bischof sei letztlich jede und jeder der Anwesenden ein „Hüter“. Es gelte: „Auch ich bin verantwortlich, wenn sich etwas ändern soll“. Gekonnt schlug der Bischof den Bogen zum Jahresmotto seiner Diözese: „Ich habe seinen Stern aufgehen sehen“ (Mt 2,2). Jesus sei dieser aufgehende Stern, so Jung. Er sei Zuversicht und Hoffnung. Das von Gott geschenkte Licht könne selbst das tiefste Dunkel nicht auslöschen.
Im Anschluss an den Vortrag versammelten sich die Gäste bei Wein und Häppchen im Foyer des Universitätsgebäudes, um sich über den Vortrag auszutauschen. Manch einer bedauerte im Gespräch, dass Münkler am Ende seines Vortrags keinen positiven Ausblick oder gar Handlungsanweisungen gab. Auch Domkapitular Clemens Bieber, Vorsitzender des DiCV, mischte sich unter die Gäste. Dabei stellte er fest, dass vor allem die abschließende Einordnung von Münklers Vortrag durch den Bischof gut ankam. Bieber: „Ein großes Problem ist, dass viele Zeitgenossen die Problematik nicht wirklich wahrhaben wollen. Die im Auditorium merkliche Betroffenheit hat Bischof Franz mit seinem kurzen und sehr prägnanten Schlusswort, ausgerichtet auf die Hoffnung, die uns gegeben ist, und unsere Chance aufgelöst: Die Bereitschaft Hüter zu sein im Zusammenleben, selbst Verantwortung wahrzunehmen – schon im eigenen überschaubaren Lebens- und Wirkungsbereich – und an der Zuversicht im Vertrauen auf Gott zu arbeiten. In den zahlreichen anschließenden Begegnungen wurde deutlich: Die Botschaft ist angekommen!“
Stimmen aus dem Publikum
Georg Sperrle, Geschäftsführer der Caritas-Einrichtungen gGmbH, freute sich über die vielen bekannten Gesichter und den interessanten Vortrag. Auch Sonja Schwab, Abteilungsleiterin Soziale Dienste, stimmte dieser Einschätzung zu: „Vor allem die Zusammenfassung des Bischofs am Ende des Vortrags hat mir viel Positives mit auf den Weg gegeben.“ Angelika Ochs, Geschäftsführerin des Caritasverbands für den Landkreis Rhön-Grabfeld e. V., zeigte sich im Anschluss an den Vortrag gut gelaunt: „Ich komme schon seit mehreren Jahren zum Diözesanempfang und freue mich jedes Mal sehr darauf“. Andere Stimmen aus dem Publikum berichteten davon, dass ihnen erst an diesem Abend bewusst geworden sei, dass es das sichere und behütete Leben, wie sie es aus ihrer Kindheit kennen würden, nicht mehr geben werde. Bis jetzt habe bei ihr noch immer der Glaube bestanden, „dass nach dem Ukrainekrieg wieder alles in Ordnung ist“, sagte eine in ihrer Gemeinde ehrenamtlich Engagierte. Dass dies ein Trugschluss sei und dass man sich vielmehr der neuen Situation anpassen müsse, sei für sie eine Erkenntnis des Diözesanempfangs. Dabei fühle sie sich von Gott getragen und vertraue darauf, dass sich alles zum Guten fügen werde.
Theresa Hepp/Anna-Lena Herbert
Sie interessieren sich für den Vortrag von Herrn Professor Herfried Münkler? Hier können Sie ihn auf YouTube anschauen.