Die Predigt im Wortlaut:
„Stunde der Verheißungen“ – so die Überschrift zu einem Kommentar, der kritisch auf die von allen Parteien jetzt vorgelegten Programme zur bevorstehenden Bundestagswahl blickt. „Das Blaue vom Himmel“ würde versprochen werden, schrieb ein anderer Kommentator. In der Tat ist die politische Situation derzeit sehr schwierig und wird durch Ereignisse wie in Magdeburg zusätzlich verschärft. Nicht nur die innere Sicherheit weckt Sorgen. Im wirtschaftlichen Bereich treten die Probleme immer deutlicher zu Tage, ebenso die sozialen Herausforderungen – und das nicht nur im Blick auf die veränderten gewachsenen sozialen Netze wie z.B. Kinderbetreuung, Bildung bis hin zur Pflege. Bedenken und Sorgen erfüllen viele im Blick die gesellschaftlichen Entwicklungen besonders bei Fragen von Partnerschaft, Familie und Bewertung menschlichen Lebens in seiner Entstehung bis zu seinem natürlichen Ende. Dazu kommen die Spannungen, Konflikte, Krisen und Kriege in Europa und in der Welt insgesamt.
Die Sicht auf das Leben und das Zusammenleben ist sehr unterschiedlich und gegensätzlich. Das beginnt mit den Erwartungen Einzelner, was die Gesellschaft, was der Staat für ihn zu tun habe. Das setzt sich fort in der nicht selten sehr subjektiven, einseitigen Deutung und damit der Meinungsmache der Medien. Dazu kommen wie immer vor Wahlen die Versprechungen – oder mit den Wortes des erwähnten Kommentars gesagt – „Verheißungen“ der einzelnen Parteien, die hoffen, damit Stimmen der Wählerinnen und Wähler auf sich zu ziehen.
Die Reaktionen auf die sogenannte „Stunde der Verheißungen“ , also auf die Programme der Parteien sind sehr verhalten. Zumindest belegen die daraufhin erfolgten Umfragen, dass die Unzufriedenheit nicht wirklich abnimmt und die Anzahl der Protestwähler nach wie vor erschreckend hoch ist. Dahinter verbirgt sich eben auch Misstrauen und es macht deutlich, es kommt nicht nur auf die vorliegenden Programme an. Es braucht vielmehr glaubwürdige Menschen, die Zuversicht verkörpern und die Menschen mitnehmen auf den Weg in eine lebenswerte Zukunft. Es kommt auf die Glaubwürdigkeit an!
Im Blick auf Weihnachten schrieb Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung: „In diesen Tagen spüren viele, was ihnen fehlt. Sie erleben schmerzhaft die Diskrepanz zwischen Schein und Sein.“ Er bezeichnet Weihnachten als „ein Fehlfest“. Gerade in diesen Tagen spüren wir oft sehr deutlich, „was in der privaten und der globalen Welt alles fehlt, was zerbrochen, was vergangen, was verloren oder verraten ist. Es fehlen Menschen, die einem so lieb und so ungeheuer wichtig waren ... Es fehlen herzliche Gelassenheit und wohlige Freude ... Es fehlt der innere Friede – und der äußere Friede fehlt ohnehin.“
Deshalb zitiert Prantl in seinem Zeitungskommentar das alte Adventslied: „Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt? … Komm, tröst uns hier im Jammertal.“ Der Journalist warnt allerdings vor Allerweltsweisheiten, vor schnell dahingesagten Ermunterungen. „Das macht aggressiv“, schreibt er. In der rasend schnellen Social-Media-Welt, in der sich Chatbots, gefüttert von künstlicher Intelligenz, als Begleiter und Vertraute anbieten, braucht es Menschen unter Menschen, die auf Augenhöhe Sorgen, Probleme, Belastungen wahrnehmen.
Prantl schreibt: „Weil nur trösten kann, wer weiß, dass er selbst auf Trost angewiesen ist; und trösten kann auch nur, wer weiß, dass er nicht mit allem allein fertig wird und nicht für alles eine Lösung hat – und das auch nicht muss. Weil der Mensch ein Mensch ist, braucht er menschlichen Trost. Daran erinnert Weihnachten, das Fest der Menschwerdung.“
Papst Franziskus wird nicht müde mit seiner Mahnung an die Kirche, an uns Christen: „Verkündet das Evangelium, und das gerade jetzt in einer Zeit gewaltiger Veränderungen im Blick auf das Menschenbild, ebenso im Blick auf die familiären, gesellschaftlichen, ökonomischen und globalen Strukturen.“
Die Botschaft ist zugleich der Auftrag glaubwürdig zu bezeugen, dass es in der Geburt Jesu um die Menschwerdung Gottes, um sein Lebensprogramm geht und nicht um ein sentimentales Event unter roten Zipfelmützen. Es geht um den Menschen, sein Leben und die Verheißung einer von Gott gesegneten lebenswerten Zukunft.
Deshalb ist es wesentlich, ob wir Weihnachten mit Gott, seiner Menschwerdung und seinem Entgegenkommen in Verbindung bringen, oder ob wir uns selbst und das von uns inszenierte Fest feiern, bei dem wir versuchen, uns gegenseitig für ein paar Stunden zu beglücken.
Weihnachten will Menschen bewegen, sich für Gott zu öffnen. Das wäre gerade in unserer Zeit not – wendig! Wir erleben Menschen, die rastlos und gehetzt sind von der Betriebsamkeit des Alltags, die z.T. mit Härte Geschäfte machen. Wir erleben Menschen, die oft wie abgestumpft scheinen für die Befindlichkeit anderer, die keine Zeit füreinander haben, ruhelos sind, Menschen, die fast immer eine Möglichkeit finden, sich andere und ihre Not vom Leib zu halten. Wir erleben Menschen, die selten einfühlsame Worte für andere haben, die nicht zuhören können, die nur Zahlen, Fakten, Gewinn und Vorteil im Blick haben. Und wir erleben Menschen, die von Unsicherheit und im Blick auf die Zukunft von Angst erfüllt sind.
Dann aber erleben wir gerade an diesem Abend, in dieser Heiligen Nacht Menschen, die zutiefst gerührt, ja in ihrem Innersten berührt sind. Nicht selten fließen sogar Tränen, wenn sie von dem Wunder dieser Nacht singen oder einander in die Arme schließen, einem Kind zuschauen, das sich riesig freut, oder wenn sie das dankbare Strahlen in den Augen eines alten und gebrechlichen Menschen wahrnehmen.
In solchen Momenten wird deutlich, in der Heiligen Nacht geht es um weit mehr als um eine vordergründige oder oberflächliche Sentimentalität für wenige Stunden. Da geht es nicht um eine Perfektionierung menschlichen Lebens. In der Heiligen Nacht wird unser Herz berührt, wie es von Menschen nicht machbar wäre.
Menschen fühlen sich angenommen, wertgeschätzt und geborgen trotz all ihrer Fehler und Schwächen, auch mit all ihrer Gebrechlichkeit, Hinfälligkeit und Unvollkommenheit. Das Wunder dieser Nacht liegt nicht in der Perfektion oder einer Inszenierung, sondern in der Schwäche, die zutiefst menschlich ist. Genau um diesen Hinweis und diese Botschaft und die damit verbundene Verheißung für unser Leben geht es an Weihnachten.
Gott kam in Jesus selbst in die Welt mit all ihren Spannungen und Konflikten, mit all ihren Sorgen und Problemen, mit all ihren Schreien nach Erlösung; er kam, um allen Menschen zu einem erfüllten und zufriedenen Leben zu verhelfen,
- indem ER den Mächtigen wie auch den Wohlhabenden den Blick weitet für eine tiefere Einsicht, was Leben bedeutet,
- indem ER Niedergedrückte, Mutlose und Enttäuschte aufrichtet,
- indem ER Schwachen, Gebrechlichen und Kranken heilsame Nähe schenkt,
- indem ER Schuldiggewordenen verzeiht und zu einem neuen Anfang verhilft,
- indem ER Menschen über kulturelle und soziale Grenzen hinweg zusammenführt,
- indem ER Hoffnungslosen das Herz weitet und ihre Zuversicht bestärkt.
Das alles ist zutiefst wertvoll für unser Leben und kann nicht einfach von Menschen gemacht werden, sondern nur aus einem Herzen kommen, das von Gottes Liebe berührt ist. Die Frohe Botschaft, die durch Jesus in die Welt kam und von ihm gelebt wurde, ist kein „Wahlprogramm“. In der Haltung Jesu und durch sein Wirken wird deutlich, dass in seiner Botschaft eine unendliche Verheißung steckt – für unser Leben und Zusammenleben hier auf Erden und darüber hinaus.
Weihnachten, die Menschwerdung Gottes in Jesus ist nicht „die Stunde“ von x-beliebigen „Verheißungen“. Weihnachten ist „DIE Stunde der Verheißung“ für Menschen, die auf eine lebenswerte Zukunft hoffen. Weihnachten ist eine Ermutigung für Menschen, die darauf warten, dass jemand kommt und ihnen Halt und Orientierung schenkt und sie Sympathie und Menschenfreundlichkeit spüren lässt. Wenn diese Botschaft glaubwürdig bezeugt wird, dann wird in all den Unsicherheiten und Ängsten unserer Tage Zuversicht lebendig.
Weihnachten – DIE „Stunde der Verheißung“! Weihnachten, die Geburt Jesu, die Menschwerdung Gottes schenkt Trost und Zuversicht für die Menschen und die Welt! Deshalb rufen wir Christen in der Heiligen Nacht uns gegenseitig und allen, die uns begegnen, zu: „Ein gesegnetes und frohes Weihnachtsfest!“ Denn von dem heilbringenden Geschehen in dieser Nacht geht Leben aus für alle Welt: Fürwahr DIE „Stunde der Verheißung“!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Wenn du dich satt gesehen hast
an dem Kind in der Krippe,
geh nicht fort.
Schau auch auf die,
die er um sich versammelt hat.
Bevor du gehst,
mach erst wieder
seine Augen zu deinen Augen,
seine Ohren zu deinen Ohren
und seinen Mund zu deinem Mund.
Mach seine Hände zu deinen Händen,
sein Lächeln zu deinem Lächeln
und seinen Gruß zu deinem Gruß.
Dann erkennst du in jedem Menschen
deinen Bruder, deine Schwester.
Wenn du ihre Tränen trocknest
und ihre Freude teilst,
dann ist Gottes Sohn wahrhaftig geboren.
Du darfst dich freuen,
alle Menschen können sich freuen,
können leben -
in dieser Nacht
und für immer.
(Autor unbekannt)