Würzburg (POW) „Ich habe nichts Unrechtes getan.“ Wie ein Mantra sagt Adolf Eichmann, einst Obersturmbannführer der SS und einer der Organisatoren der Schoah, diesen Satz immer wieder. Kariertes Hemd, schwarze Hornbrille, hellbraune Strickjacke, strenger Scheitel. Bieder und unscheinbar. Am Abend vor seiner Exekution sitzt er in dem 1993 von Andreas Gruhn verfassten Monolog in Jerusalem in der Zelle. Dorthin haben ihn 1960 israelische Agenten aus Argentinien entführt. In das südamerikanische Land war Eichmann wie weitere Nationalsozialisten nach Kriegsende geflohen.
Acht Monate dauerte der Prozess, ehe er 1962 hingerichtet wurde. Im Stück „Bald ruh‘ ich wohl – Eichmanns letzte Nacht“, einer Koproduktion des Würzburger Hafentheaters Chambinzky und der Domschule Würzburg, hat Regisseur und Schauspieler Kai Christian Moritz in anderthalb Stunden ein unter die Haut gehendes Bild eines der Motoren hinter der systematischen Vernichtung der europäischen Juden gezeichnet.
Vor Gericht berief Eichmann sich darauf, auf Befehl gehandelt zu haben. „Wie die Bomberpiloten der Alliierten.“ Will sagen: Was hätte er schon tun können? Sich widersetzen und dann wegen Befehlsverweigerung erschossen werden? Überhaupt, gibt Eichmann wiederholt im Stück von sich: „An meinen Händen klebt kein Blut.“ Er habe lediglich Transporte organisiert. „Was am Bestimmungsort passierte, entzieht sich meiner Kenntnis.“ Das wahre Opfer, das sei er.
Jedoch erzählt er selbst, während er fast manisch den Boden der Haftzelle oder seine Toilette schrubbt, dass er es selbst nicht ertragen habe, als er zum Beispiel Zeuge der ersten systematischen Erschießungen – vom Kleinkind bis zum Greis – in der Nähe von Minsk wurde. Nicht, weil die Bilder so grausam sind. Er findet das Vorgehen nur nicht besonders effektiv. Gleich zu Beginn wird deutlich, dass er einem einfachen Feindbild anhängt. Er vermeint, unter dem Zellenboden den Ruf einer Kammratte zu hören, und sinniert: „Eine Ratte? Kein Problem. Aber ein ganzes Volk davon?“
Eine klaffende Wunde sehen, das könne er nicht. Er liebe Kinder und Musik, führt Eichmann an. Kann denn so jemand Böses tun? „Ich muss für die Taten anderer leiden.“ Wenn jemand einem falschen Befehl gehorche, dann „muss der Befehlsgeber zur Rechenschaft gezogen werden“. Und das sei ganz sicher nicht er. Immer wieder tritt Eichmann an das Waschbecken seiner Zelle und wäscht sich, wie Pontius Pilatus, die Hände.
Die Philosophin Hannah Arendt fasste ihre Beobachtung Eichmanns beim Prozess mit dem Schlagwort „Banalität des Bösen“ zusammen. Kaum anders ist es zu begreifen, wie dieser auf der Bühne darüber sinniert, das Angebot an die Alliierten, das Leben von einer Million Juden gegen 10.000 Lkw für den Endsieg einzutauschen, sei unbeantwortet geblieben. Schon früh zeigte Eichmann die Bereitschaft, sich zu entmenschlichen, wenn es für das persönliche Fortkommen wichtig war. Bei der SS-Ausbildung auf der Kampfbahn scheuert er sich bereitwillig die Ellenbogen blutig und bekommt als Anerkennung neue Aufgaben.
„Eher zufällig“ sei er in die SS geraten, sagt er in dem Stück. Obwohl die NSDAP, das gibt er zu, doch für einen Nationalismus steht, „der mir zusagte“. Wie überzeugt er tatsächlich das System stärkte, zeigen mehrere kurze Einspielfilme, technisch auf Wochenschau-Schwarz-weiß und Flackern getrimmt. Darin faltet Eichmann unter anderem einen SS-Mann am Telefon zusammen. Einen ganzen Transport von Juden aus Frankreich einfach ausfallen zu lassen? „Ausgesprochen blamabel.“
An seine Ehefrau Vera schreibt Eichmann einen letzten Brief. Er bedauere vor allem, seinen „geliebten Hasi“, wie er seinen jüngsten Sohn nennt, nicht mehr aufwachsen sehen zu können. Und er stellt klar: „Ein Judenhasser war ich nie. Ich hatte einen jüdischen Schulfreund.“ Um dann geifernd über die „Unmenschlichkeit“ zu zetern, mit der man ihm begegne, weil das weiße Hemd, das er bei seiner Hinrichtung zum Anzug tragen wird, eine „schreckliche Falte“ hat. Er habe „nie einen Schießbefehl erteilt“. Eine ausführliche Händewaschung folgt. „Ich bin mit Gott im Reinen.“
Markus Hauck (POW)
(0525/0119; E-Mail voraus)
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