Die Predigt im Wortlaut:
Weihnachten – und es droht Gefahr! Die Christen im Heiligen Land erleben unmittelbar Unfrieden. In Syrien z.B. kennen die Kinder Weihnachten nicht ohne Krieg. In Myanmar sind besonders die Christen von der ausufernden Gewalt des Bürgerkrieges betroffen. In Vietnam hoffen die Katholiken auf mehr Religionsfreiheit. Ein Priester aus der Ukraine schrieb, mit welchen Gedanken die Gläubigen in seiner Gemeinde Weihnachten feiern und was sie hoffen. In Köln und Wien erhöhte die Polizei an Heiligabend ihre Schutzmaßnahmen für die Feier der Christmette. Der Grund sind bekannt gewordene Anschlagspläne auf Kirchen.
Christen sind weltweit die am meisten stärksten unterdrückte Religion. In 130 Ländern werden Christen unterdrückt oder verfolgt. Deshalb ist es bemerkenswert, was am Samstag in der WELT zu lesen war: „Weihnachten in Deutschland – Wir sind dann mal kurz fromm“. So die Überschrift. Im Artikel war zu lesen: „Jahr für Jahr zu Weihnachten haben viele Menschen eine Verabredung mit dem Christentum. Der in diesen Tagen schwer zu übersehende Drang zu einer religiös grundierten Sause mit Braten und Alkohol, Konsum und Geselligkeit ist durchaus eine Überraschung, wenn man den Glaubenseifer im restlichen Jahr zum Maßstab nimmt.“ Umso mehr drängt sich die Frage nach der persönlichen Überzeugung und der inneren Haltung auf.
Deshalb ist es von Bedeutung, dass die Kirche im Zusammenhang mit der Feier der Geburt Christi und damit der Menschwerdung Gottes an den hl. Stephanus erinnert. Die Kirche ehrt Stephanus seit frühester Zeit als ihren ersten Märtyrer und weist so alle nachfolgenden Generationen auf sein Zeugnis für den menschgewordenen Gott hin. Weihnachten will nicht mit sentimentaler Stimmung betören. Christen sollte bewusst sein, dass das Bekenntnis zum menschgewordenen Gott und der Weg der Frohen Botschaft eine Herausforderung bedeuten.
In diesem Sinne hat der Papst gestern, am Weihnachtstag, beim Segen „urbi et orbi“, „für die Stadt und den Erdkreis“ an die Kriege und Konflikte auf der Welt erinnert: im Nahen Osten, in Syrien, Jemen, Libyen, im Irak, Iran, Afghanistan, in der Ukraine, in Armenien und Aserbaidschan, in der Sahelzone, am Horn von Afrika, im Sudan, in Kamerun, in der Demokratischen Republik Kongo, im Südsudan sowie auf der koreanischen Halbinsel und vielen anderen Ländern der Erde. Eindringlich rief Franziskus zum Frieden in der Welt auf.
Zudem sprach er über die sozialen und politischen Konflikte auf dem amerikanischen Kontinent. Politiker und „alle Menschen guten Willens“ müssten dort Lösungen finden, um die sozialen und politischen Konflikte zu überwinden, Armut zu bekämpfen, die Ungleichheiten zu verringern und das Problem der Migration anzugehen.
In all den Konflikten und Kriegen werde die Kindheit vieler Mädchen und Jungen zerstört. Die Lage vieler Kinder sei heute sehr prekär, so der Papst: „Wie viele Massaker an Unschuldigen es in der Welt gibt: im Mutterleib; auf den Routen der Verzweifelten, die auf der Suche nach Hoffnung sind; im Leben so vieler Kinder, deren Kindheit vom Krieg zerstört wird. Sie sind die Jesuskinder von heute.“
Die Antwort auf die immer weiter um sich greifende Gewalt hat Gott in seiner Menschwerdung, in der Geburt Jesu, gegeben. Der Papst wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es nicht ausreiche, nach sachlichen Lösungen in den großen Konflikten der Welt wie auch im unmittelbaren Zusammenleben der Menschen zu suchen. Deshalb braucht es eine klare geistige und geistliche Haltung, aus der heraus wir leben und handeln. Es muss darum gehen, die Grundlage unseres Miteinanders zu erneuern. Dazu will uns die Botschaft des menschgewordenen Gottes anstoßen.
Doch der Großteil der Bevölkerung in unserem Land ist überzeugt, dass das Weihnachtsfest seine religiöse Bedeutung verloren habe. Für jeden Zweiten bedeutet es vor allem, „ein paar freie Tage zu haben“. Der Großteil der Menschen in Deutschland feiert das Weihnachtsfest ohne Bezug zu seinem religiösen Ursprung und ohne Bezug zu seiner bleibenden Botschaft für das Leben. Für achtzig Prozent der Deutschen hat der Glaube keinen Bezug mehr zu ihrem Leben. Sie sind überzeugt, dass es Gott und seine Botschaft nicht braucht für die eigene Lebenspraxis – so die Erkenntnisse der aktuellen Kirchen-Mitglieder- Untersuchung (KMU).
Die Ansicht greift seit Jahren um sich und wird deutlich in vielen Diskussionen und Debatten wie z.B. der Frage, ob Kreuze im öffentlichen Raum einen Platz haben. Auch zu Weihnachten wird die Aushöhlung des religiösen Inhalts erkennbar. Sie brauchen nur einmal ihre Weihnachtspost genau anzuschauen. Wer schreibt noch einen Gruß und Wunsch, der auf das eigentliche Weihnachtsereignis verweist? Religiöse Motive werden durch rote Zipfelmützen ersetzt. Was sich inzwischen in der privaten Post mit vielerlei nichtssagenden Motiven abzeichnet, zeigt sich seit Jahren in den Weihnachtsgrüßen von Institutionen, Behörden, Verbänden, Banken, der Wirtschaft, der Industrie, der Medien, der Parteien.
Achten Sie einmal darauf, welche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens für ihre Weihnachtspost noch christliche Motive verwenden oder in ihren Wünschen den Bezug zur eigentlichen Weihnachtsbotschaft anklingen lassen. „Schöne Feiertage, ein friedvolles Fest“, das kann jeder wünschen. Aber die Freude über die Menschwerdung Gottes und seine in der Geburt Jesu deutlich gewordene Wertschätzung für die Menschen, das sollte den Wünschen von Christen zugrunde liegen.
Unsere „political correctness“ ist inzwischen so ausgeprägt, dass wir – nicht nur in den Medien – ständig darauf achten, keinerlei eigenes Profil mehr zu zeigen. Dabei vermissen die Gläubigen der anderen großen monotheistischen Religionen genau das bei uns und sie fragen, was das geistige Fundament ist, auf dem wir stehen und wofür wir stehen. Deshalb bin ich oftmals auch verwundert über die Weihnachtspost einzelner kirchlicher wie auch caritativer Institutionen.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Wir wollen niemandem die christlich geprägte Weihnachtskultur überstülpen! Aber das besondere Brauchtum hat sich im Laufe der Geschichte der Kirche aus der Feier der Botschaft von der Geburt Jesu heraus entwickelt. Diese Tradition ist für uns gut und tut uns gut. Sie will helfen, die Botschaft von der Menschwerdung Gottes zu verinnerlichen. D.h., es kommt nicht darauf an, das Brauchtum anderen aufzudrängen oder es kommerziell zu vermarkten; es ist vielmehr wichtig, aus dem Geist der Weihnachtsbotschaft heraus allen Menschen mit offenem Herzen zu begegnen und daran mitzuwirken, dass der Friede, den Gott verheißen hat, Wirklichkeit werden kann. Deshalb gilt es, jeden Menschen mit seiner Kultur und Religion zu respektieren. Ebenso dürfen aber auch wir als Christen erwarten, dass uns und unserer religiösen Praxis sowie unserem Brauchtum mit Respekt begegnet wird.
Schon von daher ist es für uns Christen wichtig, dass wir selbst überzeugt und begeistert sind von der Frohen Botschaft, die Gott uns durch Jesus verkündet hat, und dass wir diese in jeder Hinsicht glaubwürdig bezeugen. Es geht darum, dass wir die Botschaft von der Menschwerdung Gottes und seiner grenzenlosen Liebe bezeugen, wo immer wir im Leben stehen und wirken.
Wer aber die Lebensbotschaft des menschgewordenen Gottes zur Grundlage seines Denkens, seiner Entscheidungen und seines Handelns macht, der braucht Mut, denn er wird immer wieder auch Widerspruch erleben. Die Blick durch die Geschichte lehrt, dass die Christen, die Kirche immer dann besonders wichtig waren, wenn sie im Widerspruch zum allgemeinen Trend standen, also zum Mainstream dessen, was „man“ halt heute denkt und tut, standen.
Kardinal Marx sagte jetzt bei der Christmette im Münchner Liebfrauendom, das Fest erinnere an einige Grundsätze, „ohne die wir die Probleme der Welt nicht lösen und ein gutes Miteinander nicht nachhaltig aufbauen können". Zugleich warnte er davor, angesichts der großen Herausforderungen von Krieg und Frieden, Klimawandel, Migrationsbewegungen, Polarisierung in den Gesellschaften nach einfachen Antworten zu suchen, Verschwörungserzählungen nachzulaufen und Schuldzuweisungen zu verbreiten.
So hat Stephanus gehandelt, wie wir in der Lesung gehört haben: „Stephanus tat, voll Gnade und Kraft, Wunder und große Zeichen unter dem Volk.“ Das provozierte Widerspruch und Ablehnung. Denn „… sie konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem er sprach, nicht widerstehen“ und „sie waren aufs äußerste über ihn empört“. Daraufhin flogen Steine.
Ob wir nun an die Christen in aller Welt denken, die wegen ihres Glaubens bedrängt oder gar bekämpft werden oder „nur“ an die geköpften Krippenfiguren in Rüsselsheim oder an die immer häufigeren Beschädigungen von religiösen Symbolen sowie Schändung von Kapellen und Kirchen in unserem Land oder an die Diskussionen in Frankreich um die Erlaubnis zum Aufstellen von Krippen im öffentlichen Raum – es ist immer Ausdruck sowohl von Aggression und Gewalt wie auch der der Ablehnung einer geistigen und geistlichen Haltung, die zum Nachdenken über das eigene Leben anstoßen will.
Dagegen hat der hl. Stephanus mit der Verkündigung seines Glaubens, seiner Überzeugung, und von daher mit seiner aufrechten Haltung noch bis in sein Sterben hinein die grenzenlose Liebe Gottes bezeugt. Darauf kommt es an – an Weihnachten und von Weihnachten aus das ganze Jahr über. Wer sich auf den menschgewordenen Gott beruft, sollte das nicht vergessen, auch auf die Gefahr hin, dass er dafür kritisiert wird oder gar Ablehnung erfährt. Letztlich aber werden wir – wie Stephanus – den Himmel offen sehen!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Dass wir allen Zeugnis geben,
die da sind und doch nicht leben,
sich betrügen mit dem Schein
Dass wir allen Zeugnis geben,
die am Materiellen kleben,
sich nicht mehr am Kleinen freun
Dass wir allen Zeugnis geben,
die sich selbst zum Himmel heben,
nicht vergeben, nicht verzeihn
Dass wir allen Zeugnis geben,
die verkrampft nach oben streben
und den Weg zum Armen scheun
Dass wir allen Zeugnis geben,
die das Nichts zum Sinn erheben,
sagen, sinnlos sei das Sein
(Wolfgang Steffel)